Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
artig Lob, du wirst es nicht verwehren , so fängt es an, darunter eine handschriftliche Widmung mit dem Datum des 16. August 1855. Und für Lisbeth geht ein Gruß von Mörikes Tochter Fanny mit, aus der Garderobe des Haustöchterchens ein Paar Schühchen für meine gleichaltrige Tochter .
Zurück fahren die Storms zunächst mit der Eisenbahn nach Heilbronn. Von dort reisen sie mit dem Dampfschiff auf dem Neckar bis Heidelberg, wo sie noch einmal ein paar Tage bleiben. Storm hat Reisenotizen geschrieben: »Was ich im Eisenbahnwagen auf der Reise von Stuttgart nach Heidelberg notirte, da ich von Mörike zurückkehrte« . Den Dialekt der wörtlichen Rede seiner Gastgeber hat er auf seine Weise festgehalten und später in seinen Erinnerungen veröffentlicht. Das Dampfschiff fährt weiter auf dem Rhein nach Mainz, nach Bingen und Köln. In Potsdam trifft er am 22. August abends mit der Eisenbahn ein.
Vierzehn Tage ist er unterwegs gewesen. Erholung und Muße, Ferien vom Ich? Leider war unser Reisen nur zu sehr ein bloßes Besehen. Diese Eile saß mir auch bei Ihnen wie eine unheimliche Unruhe im Herzen, schreibt Storm an Mörike aus Potsdam nach der Rückkehr.
Mit unheimliche Unruhe im Herzen stellt Storm den Besuch bemäntelnd dar. Das Bild, das er von dieser besonderen und so sehr herbeigewünschten Erfahrung in seinen Erinnerungen und Briefen gemalt hat, ist nun allerdings ins richtige Licht gerückt. Über dem Besuch in Stuttgart liegt ein Schatten. Storm selber, auch hier sieht man ihn, wie so oft, in seiner Selbsttäuschung, hat den dunklen Fleck nur schemenhaft wahrgenommen und endlich aus seinem Bewusstsein verbannt.
In seinen Erinnerungen an Eduard Mörike sagt Storm, was ihn stutzen gemacht hat: Es war dies das Tischgebet, das Mörike kurz vor beginn der Mahlzeit sprach. Ich mußte schweigend darüber nachsinnen, ob das ein Rest des früheren Pfarrlebens sei oder vielleicht nur einer allgemein schwäbischen Haussitte angehöre; eine solche formulierte Kundgebung wollte mir zu dem Dichter Mörike nicht passen . Beten passt nicht zum Dichter Mörike, Beten ist für einen Dichter überhaupt unpassend, das meint Storm jedenfalls. Dichterwort ist ihm heilig, Gotteswort ist unheilige Konkurrenz.
Davon hat Storm nichts in die Aufzeichnungen einfließen lassen, die er unmittelbar nach dem Besuch niederschrieb. Er behält Mörikes Tischgebet bis zur Niederschrift der Erinnerungen (1876) im Gedächtnis. Dass Storm sich hier täuscht oder falsch erinnert, ist auszuschließen. Mörike blieb auch nach seiner Entlassung aus dem Pfarrdienst gläubiger Protestant, und seine Frau Margarethe war gläubige Katholikin. Das Tischgebet war für die Eheleute eine Selbstverständlichkeit. Ob Storm seine Gastgeber das von ihm beschriebene Stutzen hat fühlen lassen? Diese noch zwanzig Jahre später gefühlte Unebenheit während des Besuches kann nicht allein der Grund gewesen sein, warum Mörike nur noch einen einzigen Brief an seinen norddeutschen Kollegen schrieb, zehn Jahre später, zum Tod von Constanze.
Storms Besuch hat offensichtlich den Mörikes, dem Freund Hartlaub und Mörikes Schwester Clara Kopfzerbrechen bereitet. Von seinen Schwierigkeiten im Umgang mit anderen, ob Frau und Kind oder Freund und Feind kann so mancher ein Lied singen. Hat Storm auch bei den Mörikes seine Meisterschaft der poetischen Aneignung ins Zwischenmenschliche übertragen? Ist er dem Dichter-Kollegen mit seiner Suggestivrede auf die Pelle gerückt? Von Mörike selber wissen wir darüber nichts, nur von seinem Schweigen wissen wir, das Storm in seinen Briefen, die trotz alledem immer noch nach Stuttgart gehen, in seiner Anrede so kommentiert: Lieber schweigsamer Mann .
Storm erteilt Mörike auch unverlangte Ratschläge, er bittet um eine Besprechung seiner Gedichte im Cotta’schen »Morgenblatt für gebildete Leser«, er nörgelt am »Maler Nolten« herum. Er fordert Mörike mehrere Male zum Gegenbesuch auf. Er plaudert aus der Familie und berichtet von der mittlerweile in der Irrenanstalt lebenden Schwester Cäcilie, er meint in getäuschter Erinnerung, sie sei damals mit in Stuttgart gewesen. Doch – da führ ich Sie, meiner alten Gewohnheit gemäß, schon wieder in die interna unseres Hauses, schreibt er an Mörike wie einer, der sich selbst ertappt.
All dies kann aber nicht der Grund gewesen sein für Mörikes Schweigen. Storms Brief-Ton ist durchaus getragen von unverändert alter Verehrung, von Respekt und Freundlichkeit. Dass er
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