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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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in der Gestalt des Knecht Ruprecht. Sein Gedicht, das einem in der Stormfamilie aufgeführten Weihnachtsspiel entsprungen ist, gehört zum Schönsten, was der Dichter uns hinterlassen hat. Kaum überraschend, wenn nicht nur Storm selber sich als großen Weihnachtsmann bezeichnet. Tochter Gertrud schreibt: Unser Vater war ein echter, rechter Weihnachtsmann . Der Weihnachtsmann ist mit seinem Schlitten und dem Zugtier Pegasus der Luftlinie zwischen Heiligenstadt und Husum gefolgt. Die Reise dauert nur einen Augenblick.

Constanze ausnahmsweise wohl und kräftig,
Cäcilie aber todeskrank
    Am 24. Januar 1863 bringt Constanze ein gesundes Mädchen zur Welt: Elsabe. Storm hat den dringenden Wunsch nach einem abgetrennten Schlafzimmer für ein ungestörtes Zusammensein mit Constanze. Nach Husum meldet er, Constanze sei wohlauf, und er führt ihr Wohlbefinden auf eine günstige Nachwirkung der letzten Sommerreise zurück. Auch an Freund Pietsch in Berlin heißt es, Constanze sei ausnahmsweise wohl und kräftig .
    Tatsächlich aber hat Constanze sich im Wochenbett nicht erholt. Sie hat in die letzten drei Monate ihrer Schwangerschaft zu viel Kraft hineinstecken müssen und sich körperlich heruntergewirtschaftet. Das Jahr 1863 wird für Constanze ein schlechtes Jahr. Auch Storm kann daran nicht mehr vorbeisehen. Im Juni schreibt er nach Hause: Constanze, die seit dem Wochenbett noch immer nicht zu Kräften gelangt war, namentlich an Rheumatismus litt, bekam Ende Mai entschiedene Gesichtsschmerzen, die bald die ganze Kopfhälfte einnahmen und sich bis etwa den 20. Juni so steigerten, daß sie zuletzt laut schrie und jeden Augenblick, da die schweren Schmerzen sie endlich Tagelang nicht verließen, in heftige Brustkrämpfe verfiel. Es war zum Verzweifeln .
    Es bleibt zum Verzweifeln. Lucie fällt aus dem Kinderwagen und bricht sich das Schlüsselbein. Das Baby Elsabe erkrankt an Röteln. Traurige Nachrichten aus Husum. Storms Schwester Cäcilie ist am 7. Juli in der »Irrenanstalt« Schleswig im Alter von 34 Jahren gestorben. Sie ist eigentlich ein kleines nettes schwatzhaftes Dings, hatte Storm schon vor gut zwanzig Jahren an Constanze geschrieben. Wenn er ihr mitteilte Cile und Mutter liegen an ihren alten Uebeln zu Bett, dann war die Rede vom »Brechübel«, vom empfindlichen, unter nervöser Last sich quer legenden Magen, an dem Storm auch selber leidet. Sobald Mutter Lucie und Tochter Cäcilie den Rückzug in ihre Betten antraten – davon ist bei den Storms oft die Rede –, war das nicht nur Gesundheitssorge, sondern ebenso Flucht aus der familiären und gesellschaftlichen Wirklichkeit. Wer das Bett hütet, nimmt sich eine Auszeit und ist aus der Schusslinie. Ähnlich wie für Mutter Lucie und Cäcilie bedeutet für die Frauen im 19. Jahrhundert das Bett ein Allzweck-Notaufnahmelager, das die Gesellschaft auch als ein solches begreift und stillschweigend anerkennt.
    Cäcilies Leiden ist familientypisch, der Blick auf Mutter Lucie und Bruder Theodor erzählt davon. Die geringste Veranlaßung bringt sie zum Uebergeben , schreibt Storm an Constanze. »Cile« fühlte sich minderwertig und hielt sich für dumm. Bruder Theodor denke das sicher auch: Der möchte sie ja nicht, sie sei ja so dumm, und das könne er ja nicht haben, klagte die Siebzehnjährige ihr Leid der zehn Jahre älteren Agnes Wommeldorff, Freundin der Familie Storm.
    Storm wird noch Mutter Lucies erschütternden Brief erinnern, den sie im Januar 1958 schrieb, als Cäcilie in die Irrenanstalt eingeliefert wurde. Hausarzt Dr. Wülfke war in den dramatischen Wochen, in der diese vom Schicksal schwer gezeichnete junge Frau zunehmend an Wahn- und Zwangsvorstellungen litt, oft in der Hohlen Gasse. Er richtete einen Brief an den Kollegen in Schleswig, den Vorsteher der Irrenanstalt, Dr. Rüppell, und beschrieb Cäcilie als gemüthskrank, sie sei von allen Storm-Kindern die am schwächsten begabte und gegen die anderen Kinder stets im entschiedenen Rückstand gewesen, so daß sie ihren Bekannten oft als albern und etwas schwachsinnig erscheinen mußte. Die häusliche Freiheit, die den Kindern viel gestattete, und die günstige äußere Lebensstellung der Familie machte sie in manchen Dingen verwöhnt. Cäcilie sei gutmütig gewesen, was aber von einer gereizten Störrigkeit verdeckt wurde. Wülfke erwähnt Abdominalbeschwerden mancher Art z. B. chronisches Erbrechen und ungeordnete Regeln. Er berichtet auch von einer Wassercur beim damaligen »Wasserpapst« Vincenz

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