Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Teig auch fest genug? Ja. Nun sticht man mit einem Esslöffel Klöße ab und backt sie aus in schwimmendem Schmalz, nimmt die fertigen mit einem Schaumlöffel heraus, legt sie in ein Sieb und lässt das Fett abtropfen. Dann mit Zucker bestreuen und noch warm essen.
An den Weihnachtsonkel erinnert Storm sich deswegen gern, weil der ihm mit manchem Geschenk eine Freude machte. Ingwer wusste, was dem jungen Storm gefiel. Globus, Körners Werke, Straß alte Geschichte sind immer noch gegenwärtig und erinnern ihn an den guten Mann. Nun, da er nicht mehr lebt, kann ich nicht begreifen, daß ich ihm in späteren Jahren niemals wieder meinen Dank ausgesprochen habe; aber vergessen ist es nicht , schreibt Storm ein Jahr nach Ingwer Woldsens Tod an seine Eltern. Vier Jahre später nennt er ihn Onkel Erich, und das kleine Stück Selbstkritik lautet in der Weihnachtsgeschichte so: Es ist mir in diesen Tagen aufs Herz gefallen, daß ich ihm die Freude, die er mir als Kind gemacht, in späterer Zeit nicht einmal wieder gedankt –; nun haben sie mir den alten Herrn im letzten Herbst begraben!
Jetzt, wenn auch verspätet, erstattet Storm den Dank, nun erleichtert er sein Gewissen mit der Errichtung eines literarischen Denkmals. Nicht nur Ingwer Woldsen wird hier eine Mitgift ins Herz gelegt, sondern dem vollständig versammelten Kreis von Genannten und Ungenannten, von Lebenden und Toten, es sind auch die wackeren Männer und Frauen der Familie, die ihr kleines Kaufmannsimperium aufbauten, erhielten und vererbten. Sie stehen stellvertretend für alles, was Storm Heimat ist, auch das Bettelkind bezieht er ein in die aus Menschenfreundlichkeit und Herzenswärme geborene Liebeserklärung. Wie sehr mag den Dichter wohl diese Sorge drücken: Kommt auch alles so in Husum an, wie ich es hier in Heiligenstadt empfunden und niedergeschrieben habe?
Der alte Freund Brinkmann hat seine Freude an diesem Stück Prosa, er fügt aber dem Lob, das er für Storm immer bereit hält, eine kritische Anmerkung hinzu: Es wird da die Liebe zur Heimat zurückgeführt auf die Achtung, die man in der Heimat als Folge der Verdienste der Vorfahren genieße, also auf eine sehr aristokratische Grundlage . Der feinfühlige Brinkmann hat als »Zugereister«, der 1819 in Göttingen geboren wurde, sicherlich Storms heimatliche Verwurzelung im Text gespürt. Vielleicht hat er bei der Lektüre nicht ohne Eifersucht Storms Herkommen mit dem seinen verglichen.
Brinkmann mag sich unterprivilegiert und als Fremder gefühlt haben; aber dieses Minderwertigkeitsgefühl hätte bei ihm nicht sein müssen. Gleich nach seiner Geburt zog seine Familie nach Kiel, wo Vater Brinkmann eine Professur für römisches Recht antrat. Sohn Hartmuth studierte dort, wie Storm, Rechtswissenschaft. Mit gutem Grund hätte er sich als Schleswig-Holsteiner fühlen können, an Bildung, Intellekt und Leistung war er Storm ebenbürtig, an Lebenstüchtigkeit war er ihm überlegen, ihm fehlte, was Storm in die Wiege gelegt worden war, das »Aristokratische«. Aus dem Brief an Storm klingt ein von Eifersucht und Leid gefärbter Ton: Aber wir Anderen Tausende, wir parvenu’s [Emporkömmlinge], haben wir denn kein Recht darauf, unsere Heimat zu lieben? Vielleicht nicht, aber dann ist es kein allgemein menschliches Gefühl, werth, durch die Poesie verklärt zu werden.
Storm antwortet so liebevoll wie selbstsicher in einem Brief, den er in Raten vom 4. bis zum 30. April 1863 schreibt: Meine Weihnachtsidylle ist, glaub ich selbst ein sehr glücklicher Griff und mit großer Herzenswärme zu Papier gebracht. Deinen Einwand muß ich ganz zurückweisen; das ist eben Heimath und das ist eben Heimathgefühl, daß es dem größeren Gefühl für Vaterland – wie vielleicht dieses dem Weltbürgergefühl – untergeordnet werden muß, gebe ich zu; aber es hat darum seine eigene volle menschliche Berechtigung .
Man muss Storm zustimmen, und wenn er selber von Herzenswärme spricht, dann hat er getroffen, was den Leser berührt. Diese Geschichte ist echter Storm. Auch wenn der Dichter einen ebenso dünnen wie schwachen Handlungsfaden spinnt und die Erzählung kaum formt – eine Novelle ist das nicht –, so lässt das den Leser kalt. Ihn rühren gerade hier solche Fragen nicht, wenn ihn Teilnahme und Nächstenliebe des Erzählers erfassen, tragen und dort ankommen lassen, wo Storm am liebsten ist: zu Hause.
Auch der in Heiligenstadt lebende Bruder Otto taucht auf, als ein großer bärtiger Mann . Er steckt
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