Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
gütiges Altersschicksal. Trotz eines Schlaganfalls kann er sich um den kleinen Enkel kümmern und ein glückliches Großvaterleben auskosten. Hier hat das Muttererbe es gut gemeint, denn der Enkel gerät ganz nach der liebevollen, treuen, tüchtigen, selbstlosen – man glaubt es nicht – Mutter Anna. Wenn auch Anna, wie Doris Jensen, ihre Schönheit lassen musste, so ist ihr Zierbild doch gerettet in der Schönheit ihres Kindes. Und die Krönung des Ganzen: Das Kind, das wie sein unglücklicher Vater Heinrich heißt, hat die Augen des Großvaters; wir nehmen an: die schönen blauen, die auch Storm hatte.
Es handele sich um eine Befreiung (a la Göthe), lässt Storm Erich Schmidt wissen, als er noch mitten in der Arbeit steckt. Er erinnert hier an eine Passage in Goethes »Dichtung und Wahrheit«: S o begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben über nicht abweichen konnte, nämlich dasjenige was mich erfreute oder quälte, oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen. (…) Alles, was daher von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer großen Konfession . Ob Goethe diese Konfession als Befreiung, wie Storm meint, erlebt hat?
Erich Schmidt schreibt nach der Lektüre von »Carsten Curator« im kritischen Teil seiner Stellungnahme: Heinrich ist der pure leichtsinnige Lump. Heinrich hinterlässt ihm einen durchaus abstoßenden Eindruck , mit dem das Ganze immer peinlicher hervortrete. Das ist schwer nachzuvollziehen und nur erklärbar mit dem Wissen, das Schmidt aus dem familiären Hintergrund der Geschichte gewinnen kann; seine Eindrücke von den eigenen Erlebnissen mit Hans in Würzburg sind noch frisch. Storm reagiert postwendend auf diese Kritik, niedergeschlagen und eingeschüchtert. Ihm ist nun die ganze Arbeit fast entwerthet .
Es ist alles doch umsonst gewesen? Was bleibt von der Novelle? Franziska Gräfin zu Reventlow hat als Neunzehnjährige viel Storm gelesen. Sie, mit ihrem Durst auf Freiheit und Unabhängigkeit, kommt gegenüber ihrem Briefpartner Emanuel Fehling zum Ergebnis, es sei in Storms Werken gar nichts darin, was einem Eindruck macht; keine Idee, für die man sich erwärmen kann .
Taugenichts Hans
Taugenichts Hans wird von seinem Bruder Ernst aus Würzburg geholt. Den August verbringt er zu Hause in Husum. Im September will er mit Vaters Geld eine Praxis in Hamburg-Wilhelmsburg eröffnen. Große Erwartungen in der Familie. Eine Kiste mit Instrumenten geht ab an den frisch gebackenen Arzt mit genauen väterlichen Gebrauchsanweisungen. Da kommt die Nachricht von den Scherffs aus Altona, Hans habe sich dort Geld geliehen und nicht zurückgezahlt. Er ist nach Rothenburg an der Wümme gereist und dort untergetaucht. Storm in seiner Wut erinnert sich wohl an den Brief von Erich Schmidt und schreibt: Somit habe ich denn die Lösung des Räthsels. Du bist der Lump, der Du seit lange gewesen .
Hat er nun endgültig die Nase voll? Diesen Sohn möchte er wie ein persönliches Hab und Gut weit weg verfrachten. Schmidt lässt er wissen, wie weit und wohin: Und so denke ich denn, wenn möglich, ihn über See, nach Batavia etwa, zu schicken. Das ist noch hinter Indien. Damit beruhigt Storm sich erst mal und schildert dem Freund eine Begebenheit aus den Kindertagen seines Ältesten, als ich, da er noch ein Knabe war, einmal in angstvollen Thränen vor seinem Bett stand und mir sagte: wenn der groß wird, so wird der wahnsinnig. Er ist es – ich möchte sagen: leider – nur halb geworden .
In Heiligenhafen an der Ostsee eröffnet Hans dann aber doch seine erste Praxis. Alles scheint in richtigem Schwung und so erwarte ich dieß Jahr gute Weihnachten , meldet Storm seinem Freund Paul Heyse. Er sieht die Zukunft wieder einmal rosig. Die vierzehnjährige Schwester Elsabe schreibt ihrem Bruder zu Weihnachten 1877: Vater ist nun auch wirklich ein ganz anderer Mensch geworden . Eine Weihnachtskiste an ihn ist mit Liebesgaben von zu Hause unterwegs: Wie schön ist es doch von so vielen geliebt zu werden, fügt das Kind am Ende hinzu.
Wie Hans es denn mit der Öffnung der Weihnachtskiste gehalten habe, will der ungeduldige Vater schon bald nach Weihnachten wissen, denn der Junge hat sich wieder einmal nicht gemeldet. Hat er sich etwa nicht gefreut? Einige Furcht hat mir die Festzeit erregt; du bist dadurch doch nicht aus
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