Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Schwester im Hause (für das, wo Du aufhörst es zu sein, ganz ohne Stütze in der Fremde stehende Mädchen) gesichertes anständiges Leben und nach außen hin eine geachtete Stellung bieten kannst?
Vater Storm weiß, das geht aus seinen Zeilen ausdrücklich hervor: Hans hat seinen Dämon nicht besiegt. Trotzdem, und auch vor dem Hintergrund der Erfahrung, die Lisbeth in Heiligenhafen machte, schickt er Lucie zu ihrem Bruder. Vermutlich ist Doris die treibende Kraft. Storm greift wieder in die Tasche. Kleidung und Bettzeug für Lucie – natürlich nicht die schwere Seetangmatratze, Möbel und Hausrat für den Haushalt. Hinzu kommt das Kapital, das sie bei den Krauses in Tondern erworben hat.
Nähen und sticken, stricken und stopfen, abwaschen und bügeln sind eine Lebensversicherung für ihre Zukunft. Das ist durchaus das Töchter-Schicksal im 19. Jahrhundert, und noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts waltet es so. Einmalig für die Storm-Töchter ist aber wohl, wie rücksichtslos sie in die Rettungsprogramme für die Söhne eingespannt und dabei verbraucht werden.
Als Storm im Juli 1883 zu Besuch bei Lisbeth in Heiligenhafen weilt, wohnt dort auch, zusammen mit ihrer Mutter, eine junge Frau, die bei Lisbeth Haushalt lernen soll. Storm schwärmt seiner fürs Klavierstudium bestimmten Tochter Elsabe von ihr vor: Ich schlafe neben Frl Höhl, einem netten Mädchen, Concertspielerin auf dem Clavier, [einer] recht guten Schifferin – sie und Lute Ha[demarschen = Lucie Storm, die Tochter von Johannes Storm] fahren allabendlich »mit einem Kahn in’s Meer« – nun kommt’s, und diese Worte hat Gertrud Storm in ihrem Abdruck der »Briefe an die Kinder« gestrichen: aber einer gänzlichen Niete für Hauswirthschaft.(…) Ich wollte übrigens, Du hörtest das Mädchen spielen; süß und heldenhaft, wie ein stürzender Wasserfall, wie ein ganzes Orchester, dann wieder wie Säuseln im Rohr, so lieblich .
Bevor Lucie nun endgültig mit Sack und Pack im Sommer 1883 zu Hans reist, ziehen noch einmal dunkle Wolken auf, denn Hans hat seine Stelle in Frammersbach verloren und liebäugelt mit einer neuen Stelle in Saalburg. Storm schreibt: Es ist wohl deutlich genug: man will Dich nicht mehr; und der Grund derselbe, weshalb – nach der Heilighafener Katastrophe – man Dich erst auf den Hamburger und dann auf den Holländischen Schiffen nicht mehr wollte. Muß ich nicht annehmen, daß es mit Saalburg auch ein kurzes Spiel werde und dann? Was wird das Ende sein?
Die neue Arztstelle liegt in Wörth am Main, Frammersbach ist nicht weit, liegt an der Eisenbahnstrecke nach Aschaffenburg. Die Gegend Wörth sei schöner als in Frammersbach, die Menschen seien dort vermögender. Eine Fabrik mit ihren Arbeitern erbringe für Hans ein Extrasümmchen. Das Städtchen habe 1700 Einwohner und sei katholisch, ein protestantisches Kirchdorf liege nahebei, und Hans habe für Lute schon das Gesangbuch der hessischen Landeskirche bestellt, schreibt Storm an Bruder Otto nach Heiligenstadt. Lucie waltet gleich ihres Amtes als Hausfrau: Lucie hat zum ersten Mal selbst gekocht: Flädlesupp, schreibt Storm zufrieden an Wilhelm Petersen. Und er kann sich an den ersten, nach Zufriedenheit und Glück klingenden Briefen und an seinen eigenen Worten selber aufrichten. Diese Behandlung mittels Eigenzauber hält nicht lange vor; denn schon bald werden Lucie Wahrheit und Wirklichkeit des Hauses Hans um die Ohren geschlagen. Darüber erfährt Storm einiges in einem erst kürzlich bekannt gewordenen Brief, den Hans Speckter nach einem Besuch bei Hans und Lucie im Oktober 1883 an ihn schrieb: denn trotz Hansens Liebe zu Lute, die er wirklich hat, und die sich in eifersüchtiger Bewachung all ihres Thuns äußert, hat sie‘s allerdings recht recht unbehaglich. Lucie ist zu Schweigen und Durchhalten vergattert, sie soll auf Doris‘ Bitte eigentlich nichts Unangenehmes nach Hademarschen berichten, sie tut es aber trotzdem und nach Speckters Brief erwacht Storm vorläufig aus seiner Träumerei: Was soll daraus werden? – Lute hat es schwer, weint sich oft aus bei einer guten Frau Dolger, will aber doch noch aushalten, weil Hans ohne sie ganz verloren ist, schreibt er an Karl. Lucie schmiedet Pläne und träumt von einer Stelle als Verkäuferin in Bad Kissingen; sie trifft damit voll den empfindlichen Nerv ihres Vaters: Deine Kissinger Phantasie, die mir ein paar schlimme Tage gemacht, ist hoffentlich verflogen.– Theodor Storms Tochter als
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