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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Fontaine« Theodor Fontane sieht er dort zum letzten Mal. Er besucht siebenmal das Theater, erlebt Wagners »Walküre« in der Königlichen Oper; hört den berühmten Tenor Albert Niemann den Siegmund singen, den dieser Sänger schon bei der Uraufführung 1876 in Bayreuth gesungen hat. Eine der grandiosesten Bühnenerscheinungen, die mir vorgekommen sind.
    Anlässlich einer festlichen Abendeinladung erscheinen über hundert Gäste zu Ehren Storms im Saal des Englischen Hauses. Ältester Freund dort ist Theodor Mommsen, vierzig Jahre sind vergangen seit dem »Liederbuch dreier Freunde«. Fontane fehlt aus unbekannten Gründen, und Storm schreibt später, dass sie beide in Berlin so bitter wenig voneinander hatten .
    Julius Rodenberg, einem der Anstifter dieses Abends, verdanken wir aufschlussreiche Anmerkungen, die er am 10. Mai seinem Tagebuch anvertraut: Theodor Storm ist seit Wochen hier, u. ich bin aufgefordert worden, bei den ihm zu Ehren prospectirten Bankett zu präsidieren, die Festrede zu halten etc.; habe jedoch abgelehnt, theils aus persönlicher Antipathie (die mit der Werthschätzung des Dichters nichts zu thun hat), theils weil er mich nicht einmal besucht hat. Rodenberg gibt uns auch eine Beschreibung des Dichters, nachdem er selber mit seiner neunzehnjährigen Tochter am Bankett teilgenommen hat: Es war doch ein schöner Abend, der gestrige Storm Abend im »Englischen Haus«, zu dem ich mich zu gehen entschloß, als ich von Frenzel hörte, daß er Niemanden besucht; u. bei dem ich schließlich sogar noch präsidierte. Storm ist bei sehr starkem Selbstbewußtsein, dem er mehrfach unverhohlen Ausdruck gab, ein sehr gemüthlicher[gemütvoller] u. – wenn man ihm den entsprechenden Tribut zollt – sogar herzlicher Mann, bei seinen 67 Jahren ist er geistig noch ganz frisch, selbst schneidig, wenn man ihm auch, an seiner gebückten Haltung u. dem spärlichen greisen Haar den alten Mann wohl ansieht. Wir setzten uns während des Abends in das beste freundlichste Einvernehmen und werden hoffentlich darin verbleiben. Justina [Rodenbergs Frau] war nicht mitgegangen, da der Sterbetag ihrer Mutter war, aber Alice hatte mich begleitet u. sah recht hübsch aus. Wir saßen Storm gerade gegenüber u. er zeichnete sie durch besondere Freundlichkeit aus, sagte mir mehrmals, wie sehr sie ihm gefiele u. küßte sie beim Abschied. Sie war sehr glücklich darüber u. zählt den gestrigen Abend gewiß zu einer ihrer schönsten Erinnerungen. (…) Den Toast auf den gefeierten sprach sehr hübsch, sinn = u. gedankenreich Karl Frenzel, worauf Storm sehr piquant antwortete, u. A. dß er doch wohl nicht so populair sein müße, da seine Gedichte Niemand kenne (was die Versammlung mit lautem Protest bestritt) – u. mit einem derben Seitenhieb auf Ebers, den er freilich nicht nannte, von dem er aber sagte, dß er um von seinem Roman auszuruhen eine Novelle schriebe (»Ein Wort«) – »Ausruhen!« rief er – »als ob von allen Arbeiten eine Novelle zu schreiben nicht die schwerste wäre!«
    Ein paar Tage später trifft Storm noch einmal Rodenberg in der Redaktion der »Deutschen Rundschau«. Der Dichter hat sich in Rodenbergs Tochter so verguckt, dass er seine Neigung für Alice aufs Neue bestätigte, dß er ihr seine »Gedichte« mit Inschrift schickte. Auch ich bin in ein herzlicheres Verhältnis zu ihm getreten . So ist auch Rodenberg dem Charme des Dichters erlegen und aus der persönlichen Antipathie ist Sympathie geworden.
    Der Mann ist empfindlich , das hat schon Erich Schmidt festgestellt. Doppelt empfindlich reagiert Storm auf den, der in seinen ureigenen Geschäftsbereich »Novelle« einbricht mit der Behauptung, eine Novelle schreibe man mal eben zur Erholung nach anstrengender Romanarbeit. Derber Seitenhieb? Welche Worte hat Storm wirklich gesprochen? Wenn er den Namen »Ebers« nicht nannte, was hat er dann gesagt? Vom »frechen Juden Ebers« wird er nicht gesprochen haben, wie vor drei Jahren gegenüber Gottfried Keller, denn mit am Tisch sitzen jüdische Freunde und Kollegen, Moritz Lazarus und Paul Lindau, nicht zuletzt Julius Rodenberg. Darauf wird er Rücksicht genommen haben, aber der Romanschreiber Ebers quält ihn immer noch, ähnlich wie der Lyriker Geibel immer noch Stachel im Fleisch des Lyrikers Storm ist. Dass Julius Rodenberg ihn nur unvollständig wörtlich zitiert, mag auch daran liegen, dass Storms Worte für alle peinlich waren.
    Den »frechen Juden Ebers«, gemeint ist der Romanschriftsteller

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