Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Georg Ebers (1817–1898), erwähnt Storm zum erstenmal in einem Brief an Gottfried Keller. Ebers schrieb historische Schinken und hatte damit großen Erfolg. Die »Itzehoer Nachrichten«, Storms Zeitung in Hademarschen, brachten einen Beitrag über den erfolgreichen Historienmaler, der, so schrieb die Zeitung, nach einem dicken Roman das unscheinbare Feld der Novellistik betreten habe und meine, das sei leichtere Arbeit als der kunstvolle, auf längeren Studien beruhende Bau mehrbändiger Romane . Die Novelle war Storms heiliger Acker, und weil er selber keine Romane schrieb, ging sie ihm über alles. Ebers, so dachte wohl Storm, sah auf die Novelle herab, weil er Romane schrieb und sich damit für bedeutender hielt. Gegen die Meinung über den Unterschied Novelle/Roman ist allerdings nichts einzuwenden, denn wahr ist, dass der Roman den längeren Atem braucht, und den hatte Storm nicht.
Für Storm war diese Anekdote Anlass für einen Text, den er im Juni 1881 schrieb; er sollte der im Druck befindlichen Gesamtausgabe seiner Werke beigegeben werden. Gut, dass er die als Vorwort gedachte Schrift wieder zurückzog, denn man liest die Kränkung heraus; Heyse riet wohl deswegen von einer Veröffentlichung ab. Andererseits hat Storm die Frage »Was ist eine Novelle« noch einmal aus seiner Sicht beantwortet und mit seinem poetologischen Scharfsinn auf den Punkt gebracht: Die heutige Novelle ist die Schwester des Dramas und die strengste Form der Prosadichtung. Gleich dem Drama behandelt sie die tiefsten Probleme des Menschenlebens; gleich diesem verlangt sie zu ihrer Vollendung einen im Mittelpunkte stehenden Konflikt, von welchem aus das Ganze sich organisiert, und demzufolge die geschlossenste Form und die Ausscheidung alles Unwesentlichen; sie duldet nicht nur, sie stellt auch die höchsten Forderungen der Kunst. Storm hat seine Novellenbildung an Goethe geschult. Menschliche Konflikte zu verhandeln, die wir ewig nennen, ist aber nicht die Hauptsache der Kunst. Der letzte Satz seiner zurückgezogenen Vorrede ist lupenreinster, schönster Storm, er lautet: Soviel ist gewiß, der einzige Probierstein des Werkes ist die Dauer .
Verweist Storms Äußerung vom frechen Juden Ebers auf eine antisemitische Haltung? Thomas Mann versucht ihr auf den Grund zu gehen: Tiefer darin steckt das nordstämmige Heidentum, das ihn natürlich auch ein bisschen zum Antisemiten macht, meint er in seinem Essay. Storm ist schnell bei der Hand mit diesbezüglichen Äußerungen. Er hat durch sein reizbares, offenes Naturell nicht nur in Bezug auf das Judenthema ein loses Mundwerk und redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist; eine Hemmung, die ihn selber schützt, fehlt ihm oft. Für die antisemitische Gossensprache ohne Risiko hat er in seinem jugendlichen Briefpartner Erich Schmidt ein passendes Gegenüber. Über den Literaturkritiker Otto Brahm schreibt er von oben herab und witzelnd zu dessen Kleist-Biographie, die der Autor Erich Schmidt gewidmet hat: Ich stecke jetzt in Brahm’s Kleist. Ein gescheutes Jüdchen!
Storm selber hat sich gegenüber Paul Heyse als weit vom Antisemiten entfernt bezeichnet. Dennoch war Storm nicht gegen eine Haltung gefeit, die man als einen reflexhaften Antisemitismus bezeichnen könnte und die im 19. Jahrhundert weit verbreitet war . Gottfried Keller aber ist kein passendes Gegenüber, bei ihm stößt Storms Ausrutscher Zu dem Vorwort ward ich durch den frechen Juden Ebers gereizt auf entschlossenen Widerstand. Er geht dem Reflexhaften nicht ins Garn, behält die Übersicht und antwortet zwei Tage später: Übrigens hat sein Judenthum, das mir unbekannt ist, mit der Sache nichts zu schaffen. Herr von Gottschall, ein urgermanischer Christ, hat schon ein paar Mal verkündet, Roman und Novelle seien untergeordnete, unpoetische Formen u. fielen nicht in die Theorie. Da Niemand darauf hörte, fing er zuletzt selbst an und schmiert jedes Jahr seinen Roman. Auch Gustav Freytag, der ja sonst ein anständiger Mann ist, that um die Zeit, wo er die Ahnen im Schild führte, den Ausspruch, die Zeit der kleinen Erzählung dürfte für immer vorbei sein, nach der schlechten Manier, die Gattung, die man nicht selber pflegt, vor der Welt herunterzusetzen und die augenblickliche eigene Thätigkeit als den einzig wahren Jakob hinzustellen. Hierzu braucht es keine Juden, so wie überhaupt meine Erfahrungen und Beobachtungen dahin gehen, daß ich auf jeden vorlauten und schreienden Juden zwei dergleichen Christen, seien es
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