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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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ich glaube, wenn Du nun bei mir säßest, so würde doch nichts daraus werden; unsere Unterhaltung würde sich dann wie gewöhnlich aufs Denken beschränken.
    Langsam und sicher zeichnet sich ab, dass zwischen uns nicht Alles so ist, wie es sein sollte und wie es meinem Herzen Bedürfnis ist , schreibt Storm an die Pflegemutter über seine Beziehung zu Bertha. Selbstverständlich kann Storms erotisches Begehren nicht Geheimnis bleiben. An dieser Grenze hättest du stehen bleiben sollen , zitiert Storm selber Friederike Scherff aus einem nicht erhaltenen Brief. Als wenn seine Liebe zum Kind Bertha selbstverständlich und normal wäre, antwortet Storm: Warum sollte ich sie nicht lieben, was doch so natürlich war. Storm gibt die Hoffnung nicht auf: Noch darf ich sie nicht verloren geben . Auch Berthas Pflegemutter hebt warnend ihren Zeigefinger: Storm folge nicht der Stimme der Vernunft und hielte eine Täuschung eigensinnig fest . Hellsichtig schreibt sie von einer selbstgeschaffenen Täuschung und einem imaginierten Kummer ; beides könne ihm sein Leben vernichten.
    Das lässt Storm nicht kalt. Endlich die Wahrheit! , schreibt er zurück. Als sei er anderen Sinnes geworden, sieht er seine Bertha-Liebe als Fata Morgana meines Herzens und: Die letzte Episode meines Jugendlebens ist hier geschlossen. Trotzdem hält Storm an seinem Bertha-Projekt fest.
    Ostern 1842 ist er in Hamburg; nicht bei seinen Verwandten, den Scherffs, wohnt er, sondern bei seinem Studienfreund Guido Noodt. Er kommt verschwörerisch, weder den Scherffs noch Bertha hat er von der Reise erzählt. Guido Noodt ist ihm wichtig, er bietet ihm Quartier mit Bett und Frühstück und ein offenes Ohr für seine Liebesgeschichte. Noodt schreibt ein Jahr später an Theodor Mommsen: ich muß doch dem großen Erotiker Storm Recht geben, welcher behauptet: man müsste eine spröde Geliebte erst (wie er sich ausdrückt) mit Füßen treten und zu Tränen bringen, dann besitze man sie ganz .
    Dass Bertha inzwischen zu einer spröden jungen Frau herangewachsen ist, mag man glauben. Das Argument vom Fußtritt ist wohl eher auf dem Gedankenmist zweier übermütig daherredender junger Männer gewachsen.
    Heimlich schleicht Storm zu Berthas Haus. Er kommt sich vor wie ein rechter Narr . Endlich, er will schon aufgeben, kommt die Herbeigesehnte. Wir sahen uns an, wir sagten nichts, wir grüßten uns auch nicht . Aus diesem Aneinandervorbeigehen entsteht im März 1842 das Gedicht »Begegnung«: Das süße Lächeln starb dir im Gesicht / Und meine Lippen zuckten wie im Fieber; / Doch schwiegen sie – wir grüßten uns auch nicht, / Wir sahn uns an und gingen uns vorüber.
    Kurz darauf, am zweiten Ostersonntag, besuchen Storm und sein Noodt den Gottesdienst von St. Katharinen; nicht weit entfernt von der Kirche wohnt Bertha in der Dienerreihe auf der Elbinsel Grasbrook. Die Andacht ist schon im Gange, die Freunde nehmen oben im Chorgestühl Platz. Storm blickt hinunter: Ein blasses Mädchen ließ mich nicht los, und ich fühlte sie war’s. Sie wandte das Gesicht zu mir hinauf, und ihre Andacht musste der Andacht der Liebe weichen; denn sie schaute nicht zum Priester, sondern zu mir; und als nun nach der Predigt der Gesang begann, da trugen die Orgeltöne unsere Gedanken hin und wider. Da war ich überzeugt, sie habe mich verstanden, sie wisse den Grund meiner Reise; sie liebe mich .
    Einige Tage später begegnet Storm Bertha wieder; sie geht neben ihrem Vater, der sie anlässlich der Konfirmation besucht. Storm bemerkt sie zu spät und sah ihr nicht in die Augen. Diese Begegnung ohne irgendeinen Eindruck stimmte mich herab, mir war wieder all mein Glaube verloren . Danach schickt Storm Bertha einen Brief: Wenn du mich liebst, so sei Deine Liebe groß und gläubig genug mir ganz und allein zu vertrauen; im andern Fall habe noch so viel Mitleid für den Freund Deiner Kindheit, ihm ein letztes Wort zu schreiben, damit er mit seinem Glücke abschließen könne.
    Inzwischen weiß Bertha, dass Storm sie in Hamburg heimlich gesucht und beobachtet hat. Das kann sie einem Brief entnehmen, den er ihr noch vor seiner Abreise von Hamburg schrieb. Bertha hat das von Storm im Tagebuch notierte Auge in Auge während des Ostergottesdienstes als schwere Sünde empfunden, während Storm ihrem Blick Liebe entnommen haben will. Vieles spricht dafür, dass sie seinen Blick wie den Blick durchs Schlüsselloch empfunden haben muss; denn sie schreibt, und man spürt etwas von ihrer Scham und

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