Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
würde. Regine, treu bis bin den Tod, bleibt zurück in der geheim gehaltenen Welt.
Gabriel kann sich diese Schlussbemerkung leisten, damit den namenlosen Kameraden und Ich-Erzähler und den Leser im Unsicheren lassen und die Wahrheit für sich behalten. Regine wird die verbotene Zone nicht betreten, sie wird auf Gabriel warten. Er wird wieder zurückkehren, getarnt als Soldat, und wieder wird da der Zauber der Schlange sein. Dass er zurückkommt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Das Blatt ist ein grünes Blatt, es steht noch im Saft, und der kluge alte Kätner, der das Liebespaar wieder in seine Obhut nehmen wird, hat schon beim Abschied geweissagt: morgen oder übermorgen .
Ein unpolitisches Tier im Exil
Krieg zeichnet sich im Spätsommer 1847 noch nicht ab. Erst im Januar 1848, als der dänische König Christian VIII. stirbt und Frederik VII. nachfolgt, fängt die Krieg-und-Frieden-Zeit in den Herzogtümern an. Storm hat in Husum eine Reihe politisch bewegter Jahre erlebt. Aber, bezeichnend für ihn, das Politische daran interessiert ihn nicht sonderlich. Schon beim Bredstedter »Nordfriesenfest« im Juni 1844 hatte er mehr das Musikalische als das Politische im Auge. Einen Monat später bleibt er dem großen Sängerfest in Schleswig fern, wo das Schleswig-Holstein-Lied aus der Taufe gehoben wird. Seine abschätzige Haltung zu den Liedertafeln spricht Bände. Zwar fühlt und begreift er die Stimmung im Lande; aber er stellt sich nicht in den Dienst der Unabhängigkeits-Wünsche seiner Landsleute; er spricht noch von »Heimat«, als schon »Deutschland« gerufen wird. »Heimat« garantiert ihm der dänische Gesamtstaat, das große Vaterland, in dem es sich heimatlich leben lässt. Er huldigt gar, wenn auch mit schlechtem Gewissen, dem dänischen König, seinem Herzog, als er im September dieses ereignisreichen Jahres mit seinem Nixenchor auftritt. Unbeachtet lässt er auch die Forderung des Kopenhagener Bürgermeisters, der im Herbst 1844 seinen König aufforderte, er möge die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg dem dänischen Reich einverleiben. Das wäre aber der Anfang vom Ende gewesen, auch für Storms geliebte Heimat. Er hat sich dazu, soweit bekannt, nicht geäußert, auch in den Brautbriefen nicht, die ihn Tag für Tag hin- und herrissen, in den siebten Himmel auffliegen und tief in die Hölle stürzen ließen.
Zum ersten Mal wagte Storm sich 1845 vor, als der König die blauweißrote Fahne verbot, das Symbol der schleswig-holsteinischen Unabhängigkeitsbewegung seit dem Sängerfest in Schleswig. Er schrieb fünf gereimte Strophen als Protest gegen die königliche Verordnung. Gleich der erste Vers ruft auf zum Ungehorsam: Das Banner hoch! Die weiße Nessel! Das Gedicht schickte er Constanze mit der Mahnung: Meine Vaterschaft verschweige aber streng . Für den Fall einer Veröffentlichung verweigerte er seinen Namen. Das Gedicht landete bei einem Buchhändler in Altona; es soll vertont und gesungen worden sein. Zu Storms Lebzeiten ist dieses Gedicht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gedruckt worden.
Ostern 1846 schreibt Storm an Constanze: Ein politisch Gedicht wollte ich machen, das mit Frühling beginnen sollte, aber ich konnte über diesen nicht hinaus . Die ersten drei Strophen schickt er seiner Verlobten. Politische Lyrik ist das nicht, was mit einem Vers wie diesem endet: Die Lerchen jauchzten und die Knospen sprangen .
Wilhelm Jensen, der in Heiligenhafen geborene, zwanzig Jahre jüngere Kollege aus Kiel, der 1876 nach Freiburg im Breisgau ziehen wird, schreibt über den von ihm bewunderten Storm: Für das an sich geschichtlich Bedeutungsvolle fehlte ihm der Sinn. Jensen berichtet vom ersten Zusammentreffen mit dem Dichter in Schleswig im Jahre 1867. Gerade war Maximilian, Kaiser von Mexiko, standrechtlich erschossen worden und Storm interessierte das Geschick des Erzherzog Maximilians nicht im mindesten, es brachte ihn auch nicht aus dem seelischen Gleichgewicht .
Auch in den Novellen aus der Erhebungs- und Besatzungszeit, die von seiner Empörung über das Unrecht reden, das seiner Heimat zugefügt wird, ist das große und kleine politische Tagesgeschehen nur Beiwerk, nie Hauptsache. Man denke außer an »Ein grünes Blatt« an »Unterm Tannenbaum« (1862) und an das Gedicht »Abseits« (1863), das das Politische nur vortäuscht, in Wahrheit aber ein Liebesgedicht ist und von der Liebe zu Doris Jensen erzählt. Storms Figuren treten hier nicht als politische Wesen
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