Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
was dann, auf der Rückfahrt, einen unerschöpflichen Stoff für unsere Coupeeunterhaltung abgab.
Der Maler und Schriftsteller Ludwig Pietsch (1824–1911), der im Auftrag des Verlegers Duncker Storms »Immensee« illustrierte und mit Storm seit dem Kennenlernen 1856 in Potsdam lebenslang in freundschaftlicher Briefverbindung stand, hat sich in seinen Erinnerungen ebenfalls zum Stormschen Familienleben geäußert: Mit der häuslichen Wirtschaft und Ordnung wurde es von beiden nicht allzu genau genommen. […] Die drei Jungen Hans, Ernst und Karl wurden vom Vater als seine Freunde und Kameraden behandelt, mit denen er selbst Dinge besprach und erörterte, welche man gemeinhin vor Knabenohren nicht zu berühren pflegt. Diese Art der Kindererziehung ist immer ein gewagtes Experiment. Wenn kein Unheil daraus erwächst, können Väter und Kinder von Glück sagen .
Glaubt man den Beteuerungen der Rütli-Freunde, dann hat der Dichter aus dem Norden die Frauen, die bei den Zusammenkünften mit ihrem Handarbeitszeug dabei waren und zuhörten, tief beeindruckt. Die Damen schwärmten ihn an, schreibt Fontane. Offensichtlich gefiel dem weiblichen Geschlecht das »Weiche« an ihm, das dem männlichen Geschlecht nicht so behagte. Der »Erotiker« Storm, der Liebesdichter Tannhäuser schreibt den Frauen offensichtlich seine Verse mitten ins Herz. Storm versteht sich auch aufs Erzählen von Spukgeschichten, dann ist es – so Fontane – , als würde sein Vortrag aus der Ferne wie von einer leisen Violine begleitet; diskutierte man nach den Vorträgen das eigene Dichten und Denken, dann habe er keinen anderen so Wahres und so Tiefes sagen hören . Gelobt wird auch der Gastgeber Storm, besonderes Lob aber hält Fontane für die schöne »Frau Constanze« bereit, die Frau Kugler auch »Dickerchen« nennt. Alles in allem wollte es auch mit Storm nicht recht gehen . Man verübelt ihm seinen narzisstisch-undemokratischen Trieb, im Mittelpunkt stehen und Recht behalten zu wollen. Man störte sich an seiner Poeteneitelkeit, die Kugler eines Tages in die Schranken weist, als Storm seinen Groll gegen den alten Freund und Feind Geibel alias »Bertran de Born« ausspricht und sich – nicht zu Unrecht – als den Besseren darstellt. Kugler empfindet das – ebenfalls nicht zu Unrecht – als unanständig: Vom abwesenden Freund und Rütlionen könne man nicht so sprechen, meint er.
Storm eckt an. Fontane schreibt von Befremdlichkeiten, die, je nach ihrer Art, einer lächelnden oder auch wohl halb entsetzten Aufnahme begegneten und von Sonderbarkeiten, die nun einmal alles Stormsche begleiteten . Das klingt schon wie ein leiser Vorbescheid auf Fontanes späteres Urteil über Storm: Er war für den Husumer Deich, ich war für die Londonbrücke; sein Ideal war die schleswigsche Heide mit den roten Erikabüscheln, mein Ideal war die Heide von Culloden mit den Gräbern der Camerons und McIntoshs . Storms Husumerei , seine Provinzialsimpelei , sein Heimatstolz, wozu die Inszenierung von Tee, Teekanne und Teetasse gehört, nervt nicht nur den anglophilen Fontane. Der spricht, ähnlich inszenierend, von der Gastlichkeit ihres tea-pots . Dagegen stehen seine ehrliche Bewunderung der »Berühmtheit« und seine Hochachtung vor dem Können dieses Dichters aus Husum.
Storm gegen Fontane, Fontane gegen Storm
Mit Storm und Fontane will es nicht recht gehen . Die nimmersatte Selbstbezogenheit und das mit Spleens und Zwängen geschlagene Temperament des norddeutschen Storm stehen gegen das versöhnliche, heiter gestimmte, mit Ironie und Selbstironie begabte Naturell des Preußen Fontane. Lebenslang bleibt man beim »Sie«; trotz aller gegenseitigen Freundlichkeiten und Ehrbezeigungen, trotz »Lieber Storm« und »Liebster Fontane«. Ist diese Verschiedenheit auch der Grund für die unterschiedliche Weltsicht? Lässt sich ein Gegensatz konstruieren in dem Sinne: Storm empfindet die Heimat als seine Welt und Fontane empfindet die Welt als seine Heimat? Und wenn es so wäre: Kommt dieser unterschiedlichen Empfindung etwa auch im Persönlichen Bedeutung zu? Wäre demnach Storm, der aus Potsdam an Fontane in Berlin schreibt, wie müde ich der Parks hier bin, und wie ich mich sehne nach Wiesen und Feldern, die in naher herzlicher Verbindung mit Menschenleben – und Hoffnung stehen , der Intolerante, der sich Verschließende? Und Fontane, der am liebsten nach Mexiko ginge oder gern Pfeifenträger bei Omer Pascha sein würde, wie er an Storm schreibt, der
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