Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
stehen, wie Storm meint, im geschiednen Lager ; aber, und das meint er auch, sie stehen dort als Freunde. Nach dem Treffen in Husum haben die beiden sich nur noch einmal gesehen, 1884 in Berlin.
Storms Kommentare über Fontanes Dichtungen entstammen vorwiegend der ersten Zeit der Bekanntschaft in Potsdam und Berlin. Da kriegt auch Fontane hier und da Lob und Zuspruch des berühmteren Kollegen, der die Sache eher als Pflichtübung und als Dank für die von Fontane geleisteten Dienste ansieht.
Dass Fontane seinerseits den Lyriker Storm in der öffentlichen Literaturkritik so heraushebt, nimmt dieser mit großer Zufriedenheit zur Kenntnis und zugleich erscheint ihm das Lob auch selbstverständlich. Dichter Storm lässt nicht viele Dichter gelten. Heine, Mörike und Eichendorff, die Götter seiner Jugend, sind ihm heilig. Bei Goethe macht er Abstriche: der habe nicht Fähigkeit u. Bedürfniß sein tiefstes und mächtigstes Gefühl in lyrischen Gedichten […] auszusprechen . Seiner Kritik, deren Richtung er festlegt aus der selbst erlebten, befreienden Wirkung eigenen Schreibens, folgt das Lob auf Matthias Claudius und die Vorväter des Naturgefühls, Paul Gerhardt und Simon Dach. Storm selber, so darf Fontane aus dem Brief schließen, zählt sich zu ihren Nachfahren und zu den Großen des 19. Jahrhunderts, und auch Fontane tutet in dieses Horn: Als Lyriker ist er unter den drei, vier Besten, die nach Goethe kommen .
In Fontanes Storm-Bild findet sich stets ein »aber« und ein »trotz allem«. Storm ist für ihn jemand, den ich im übrigen riesig liebe und lobe , wie er an den Herausgeber der »Deutschen Rundschau« Julius Rodenberg schreibt. Fontane bleibt hin- und hergerissen: Er war ein großer Lyriker, ganz Nummer eins, aber doch zugleich […] eine »komische Kruke« , wird er an seinen Freund Georg Friedländer schreiben.
In den vorbereitenden Aufzeichnungen (1884 und 1888) für »Von Zwanzig bis Dreißig« kann man einen Blick in seine Schreibwerkstatt werfen. Hier sieht man, wie Fontane seine Arbeit bis ins Detail hinein plant und kalkuliert. Er notiert, wo ein Lob gespendet und wo ein Tadel gesetzt werden sollen. Fontane glaubt, dass sein Urteil über Storm in der Zeit der ersten Bekanntschaft strenger gewesen sei; nun, im Alter, sei es abgemildert. Das hat sicherlich auch zu tun mit Fontanes verändertem Blick auf Preußen, der kritischer wurde und sich dem Stormschen näherte, allerdings: Zu sagen, daß er überhaupt eine erquickliche Erscheinung gewesen wäre, hieße lügen, das war er nicht , notiert Fontane, und fährt fort mit: Dies ändern, viel artiger!
Storm hat sich später, im abklingenden brieflichen Austausch mit Fontane, nicht zu den Romanen und »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« seines alten Tunnel-Freundes geäußert. Warum nicht? Hat er sie nicht gelesen? Das fragt man sich. Er hat sie durchaus zur Kenntnis genommen und in der Hand gehabt; »Grete Minde« (1880) schenkte er seiner zweiten Frau Doris Jensen 1882 zu Weihnachten. »Ellernklipp« (1881), wahrscheinlich auch »Graf Petöfi« (1884) und »Schach von Wuthenow« (1885) standen in seiner Bibliothek.
Wie reich ist dagegen Fontanes Echo auf Storms Arbeiten! Nicht alles findet allerdings Gnade vor seinen kritischen Augen, und nicht alles, was er kritisch anzumerken hat, teilt er Storm in seinen Briefen mit. So schreibt er in seinen Notizen zu »Von Zwanzig bis Dreißig« über die Novelle »Waldwinkel« (1874): Das Ganze ist ein wahres Musterstück, wie man‘s nicht machen, wie Kunst nicht sein soll . »Aquis Submersus« (1876) habe insgesamt etwas Schiefes . In der Novelle »Schweigen« (1883) suche Storm immer eine gewisse, schwüle, bibbrige Stimmung.
Kennwort Bibber
»Bibber« – damit kennzeichnet Fontane die Storm-Prosa, in die sich der Lyriker Storm einbringt; oft genug verleiht Storm damit seinen Texten das »Stormsche«, die eigentümliche Leidenschaft und Sinnlichkeit. »Bibber« – das lehnt Fontane vor allem für sich als Erzähler ab; seine Prosa muss ohne »Bibber« zum Ziel kommen.
Storms Erfolg als gesellschaftlicher Liebling hängt mit dem »Bibber« zusammen; besonders die jungen Frauen standen auf seiner Seite, auch die, die es bestritten . Auch Fontanes Frau und Tochter sind Storm-Schwärmerinnen; Ein Tröpfchen von Storms »Bibber« könnte meinem Geschmack nach nicht schaden , schreibt Emilie Fontane an ihren Mann nach der Lektüre des Romans »Graf Petöfi«. Fontane antwortet bedenkenswert: Im
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