Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
die Kontrolle zu übernehmen, und der andere gibt nach. Amy Sheldon entdeckte in ihrer Studie über drei- und vierjährige Kinder in einer Kindertagesstätte, dass sogar, wenn die Mädchen und Jungen aus den gleichgeschlechtlichen Dreiergruppen für sich allein spielten, die Mädchen – im Gegensatz zu den Jungen – miteinander in Verbindung blieben, indem sie laut verkündeten, womit sie sich gerade beschäftigten, und die Kommentare der anderen aufgriffen. Ref 119
Dass bereits Zweitklässler Ansätze erwachsener Verhaltensmuster zeigen, ist eine faszinierende Erkenntnis, aber wenn auch Dreijährige sich schon so verhalten, kann man nur noch Bauklötze staunen. Kein Wunder, dass es Männern und Frauen so schwerfällt, die Ansichten des anderen zu verstehen: Wir sehen die Welt aus anderen Blickwinkeln, seit wir zu sehen gelernt haben.
Die sechste Klasse: Probleme mit Menschen und Gegenständen
Bei den Jungen und Mädchen der sechsten Klasse sind die Unterschiede ebenso gravierend wie bei den Zweitklässlern. Walt, der in einem Holzstuhl mit hoher Rückenlehne und Armstützen sitzt, wirkt genauso ruhelos wie die kleineren Jungen, aber er zeigt es eher dadurch, dass er sich auf dem Stuhl hin und her windet, als dass er dauernd rauf und runter hüpft oder aufspringt und sich wieder hinsetzt. Bei einer Gelegenheit lehnt er sich zur Seite und lässt einen Arm an der Seite des Stuhls herunterhängen, als ob er Rubber Man wäre. Der andere Junge, Tom, sitzt relativ ruhig da, aber auch er sieht aus, als ob er sich ziemlich unbehaglich fühlt. Er streckt seine Beine vor sich aus, und die meiste Zeit hat er einen Arm auf der gepolsterten Rücklehne seines Stuhls platziert. Er wirkt eher steif als ruhig.
Auch diese Jungen schauen sich nicht an. Walt reibt sich dauernd die Augen und versperrt sich damit schon rein physisch den Blick auf Tom. Er spielt mit seinen Fingern und schaut öfter auf seine Hände als auf seinen Freund. Auch Tom sitzt so in seinem Stuhl, dass er von Walt abgewandt ist. Sie lassen ihren Blick häufig durchs Zimmer wandern, offenbar auf der Suche nach etwas, über das sie sich unterhalten könnten, und entdecken dabei auch oft ein Thema. Sie lassen sich zum Beispiel über die Einrichtung aus (»Das Bild sieht witzig aus« und später »Dong, das ist mal ein Bild«); sie bemerken einen Sprinkler in der Decke, und der eine Junge erklärt dem anderen: »Das ist für den Fall, dass hier etwas Feuer fängt.« Walt guckt in seine Tasche und zieht ein neues Paar Schuhe heraus, das sie gemeinsam inspizieren und zum Gesprächsthema machen.
Bei den Mädchen der sechsten Klasse ergibt sich ein völlig anderes Bild. Statt sich mit ihren Stühlen voneinander abzuwenden, sitzen die Mädchen sich gegenüber und schauen sich direkt an. Shannon hockt ganz still auf der Kante des Holzstuhls, die Arme auf den Lehnen. Julia auf dem gepolsterten Stuhl, aber nicht in weit ausgestreckter Haltung wie Tom, sondern mit angezogenen Armen und Beinen. Sie legt ihren rechten Fuß auf ihr linkes Knie, umfasst den Fuß mit den Händen und spielt mit den Schnürsenkeln. Sie sieht zwar ab und zu auf ihren Schuh, aber ihr Blick ist im Gesicht der Freundin verankert, ganz im Gegensatz zu Walt, dessen Blick an seinen Fingern haftet.
Julia und Shannon wechseln während des Gesprächs mehrere Male ihre Positionen, aber nicht häufig oder abrupt, und sie bleiben mit Blick und Körperhaltung der anderen immer direkt zugewandt. Die gleichaltrigen Jungen machen den Eindruck, als würden sie ihren Tätigkeitsdrang unterdrücken. Wenn Walt auf seinem Stuhl hin und her rutscht, während Tom völlig regungslos dasitzt, scheint das in beiden Fällen daran zu liegen, dass sie sich unbehaglich fühlen. Die Mädchen sind mit der zugestandenen Bewegungsfreiheit offenbar zufrieden, die Jungen wirken, als ob sie sich gewaltsam im Zaum hielten, als ob sie gelernt hätten, dass sie ihren Bewegungsdrang nicht offen zeigen dürfen. Vielleicht birgt dieser Kontrast einen Hinweis darauf, warum Männer immer ein bisschen versteinert wirken, wenn sie still sitzen.
Die Gesprächsthemen der Jungen und Mädchen könnten ebenfalls kaum unterschiedlicher sein. Während der zwanzigminütigen Unterhaltung berühren Tom und Walt fünfundfünfzig Themen. Sie reden über die Schule, Hausaufgaben, Kabelfernsehen, Sport, Sex und Gewalt im Fernsehen (was sie missbilligen), über die Einrichtung des Zimmers, über Dinge, die sie sich wünschen (ein Motorrad, einen
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