Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
Zeit damit verbrachten, herauszufinden, »wer am besten über Filme, Bücher, laufende Ereignisse, Politik und Reisen informiert war«, um dadurch »die Konkurrenz einzuschätzen« und ihre »Position im Verhältnis zu den anderen« auszuhandeln. Dieser Einblick in reine Männergespräche lässt ahnen, warum die Demonstration von Wissen und Erfahrung etwas ist, das Männern lohnenswerter scheint als Frauen. Die Frauen in Aries’ Untersuchung waren mehr damit beschäftigt, »Nähe durch eher vertrauliche Selbstbekenntnisse herzustellen«.
Man darf dabei nicht vergessen, dass es sowohl den Männern als auch den Frauen um die Herstellung eines kameradschaftlichen Verhältnisses ging, und beide Gruppen beschäftigten sich mit ihren Beziehungen zueinander. Aber es standen jeweils andere Aspekte dieser Beziehungen im Vordergrund: Für die Männer ging es um ihren Platz in einer hierarchischen Ordnung, für die Frauen um ihre Stellung in einem Netzwerk intimer Bindungen. Diese unterschiedlichen Anliegen führten zu sehr unterschiedlichen Sprechweisen. Ref 54
Der Englisch-Professor Thomas Fox war verblüfft über die geschlechtsspezifischen Unterschiede in seinem Einführungskurs über literarisches Schreiben. Seine Beobachtungen fügen sich fast nahtlos in die Untersuchungsergebnisse von Aries und Leet-Pellegrini. Zu Fox’ Unterrichtsmethoden gehörte es, dass die Studenten sich ihre Essays gegenseitig vorlasen und in kleinen Gruppen darüber diskutierten. Er ließ sie außerdem Berichte schreiben, in denen die Studenten ihre Meinung zu den vorgetragenen Essays und über die Ergebnisse der Diskussionsrunden wiedergeben sollten. Nur er als Lehrer las diese Analyseberichte.
Um die beiden Haltungen, die er als typisch für Männer und Frauen empfand, exemplarisch aufzuzeigen, wählte Fox eine Frau, Ms. M., und einen Mann, Mr. H. Ms. M. verbarg sowohl schriftlich wie auch mündlich, was sie wusste, erschien nach außen uninformiert und uninteressiert, weil sie fürchtete, ihre Klassenkameraden zu verletzen. Mr. H. sprach und schrieb mit Bestimmtheit und offensichtlichem Selbstvertrauen, weil er darauf erpicht war, seine Mitschüler zu überzeugen. Ms. M. war es gleichgültig, ob sie die anderen überzeugen würde; Mr. H. machte sich keine Gedanken darüber, ob er jemanden verletzte.
Der Analysebericht, in dem der junge Mann sein eigenes Verhalten in den gemischten Diskussionsgruppen erörterte, las sich wie eine Beschreibung der jungen Männer in Leet-Pellegrinis und Aries’ Studien:
In meiner Untergruppe bin ich der Anführer. Ich beginne jede Diskussion damit, dass ich meine Meinung als Fakt präsentiere. Die anderen beiden Gruppenmitglieder neigen dazu, sich zurückzulehnen und mir zuzustimmen … Ich brauche Leute, die mir zustimmen.
Fox kommentiert, dass Mr. H. »ein Selbst offenbart, das aktiv wird, um sich selbst und andere zu ändern, und das völlig anders zu sein scheint als das von Ms. M., die abhängig und auf andere bezogen ist«.
Wenn Fox das Selbst von Ms. M. als »abhängig« bezeichnet, deutet sich darin eine negative Sicht ihres Verhaltens an – und damit eine, wie ich glaube, unter Männern weitverbreitete Sicht. In diesem Urteil spiegelt sich die Überzeugung, dass das Gegenteil von Unabhängigkeit zwangsläufig Abhängigkeit sein muss. Wenn dies tatsächlich eine männliche Sicht ist, könnte das erklären, warum viele Männer vor zu großer Vertraulichkeit zurückschrecken: Es ist sinnvoll, auf seiner Unabhängigkeit zu beharren, wenn man eine als demütigend empfundene Abhängigkeit vermeiden will. Aber es gibt eine Alternative: gegenseitige Abhängigkeit.
Der Hauptunterschied zwischen diesen Alternativen ist Symmetrie. Abhängigkeit ist eine asymmetrische Beziehung: Eine Person braucht die andere, aber nicht umgekehrt, sodass die bedürftige Person unterlegen ist. Gegenseitige Abhängigkeit ist symmetrisch: Jeder vertraut auf den anderen, sodass keiner unter- oder überlegen ist. Außerdem ist auch Mr. H.s Selbst von anderen abhängig. Er braucht andere, die ihm zuhören, ihm zustimmen und ihm erlauben, als Erster seine Meinung zu äußern und damit die Führung zu übernehmen.
So betrachtet, sind der Mann und die Frau in dieser Gruppe beide voneinander abhängig. Ihre unterschiedlichen Ziele ergänzen sich, obwohl keiner die Beweggründe des anderen versteht. Es wäre ein gutes Arrangement, außer dass die unterschiedlichen Ziele in Aufstellungen resultieren, bei denen die Autorität des
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