Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
Mannes bestärkt und die der Frau untergraben wird. Ref 55
Verschiedene Interpretationen – und Fehlinterpretationen
Fox schildert außerdem, wie unterschiedlich die männlichen und weiblichen Studenten seines Kurses eine Kurzgeschichte interpretierten. Auch in diesen unterschiedlichen Interpretationsansätzen spiegeln sich geschlechtsspezifische Vorstellungen von Abhängigkeit und Unabhängigkeit. Fox’ Studenten beschrieben ihre Eindrücke von Nathaniel Hawthornes »Das Muttermal«. Die Geschichte handelt von einem Mann, der sich zwanghaft mit einem Muttermal im Gesicht seiner Frau beschäftigt. Die Besessenheit überträgt sich auf die Frau, die darunter leidet, dass ihr Mann sich vor ihr ekelt. Entgegen ihrer Überzeugung willigt sie in eine Behandlung ein, die ihr Mann zur Entfernung des Muttermals ersonnen hat – eine Behandlung, die zur erfolgreichen Entfernung des Muttermals und zum Tod der Frau führt. Ref 56
Ms. M. sah in der Zustimmung der Frau eine natürliche Reaktion auf die Forderung eines geliebten Menschen: Die Frau ergab sich in den tödlichen Plan ihres Mannes, weil sie ihn erfreuen und hübsch für ihn sein wollte. Mr. H. machte die Unsicherheit und Eitelkeit der Frau für ihr Schicksal verantwortlich und kritisierte, dass sie sich der Autorität ihres Mannes so bereitwillig unterworfen hatte. Fox weist darauf hin, dass Mr. H. davon ausging, dass die Frau für ihre Handlungen selbst verantwortlich war – so wie er für seine Handlungen. Für ihn ging es in dieser Geschichte um Unabhängigkeit: Die schwache Frau übernahm freiwillig eine unterwürfige Rolle. Für Ms. M. handelte die Geschichte von gegenseitiger Abhängigkeit: Die Frau war untrennbar mit ihrem Mann verbunden, deshalb ließ sich ihr Verhalten nicht unabhängig von seinem betrachten.
Fox merkt an, dass Mr. H. die Interpretationen der Frauen in seiner Klasse für spontan hielt – sie würden schreiben, was ihnen gerade in den Sinn käme. Nichts könnte weiter von der Erfahrung entfernt sein, wie Ms. M. sie schilderte: Wenn sie wusste, dass ihre Kommilitonen die Aufsätze lesen würden, zensierte sie alles, was ihr einfiel. Wenn sie dagegen etwas schrieb, das nur ihr Professor lesen würde, drückte sie ihre Meinung klar und unmissverständlich aus.
Die Vorgehensweisen von Ms. M. und Mr. H. ergänzen sich auf verblüffende, wenn auch paradoxe Weise. Er braucht jemanden, der ihm zuhört und ihm beipflichtet. Sie hört ihm zu und pflichtet ihm bei. Aber in einem anderen Sinn sind ihre sich ergänzenden Absichten gegenläufig. Er sieht ihre auf Bindung zielende Zustimmung im Spiegel von Macht und Status: Er hält sie für »entscheidungsschwach« und »unsicher«. Ihre Gründe, sich anders zu verhalten als er – wenn sie zum Beispiel ihre persönliche Meinung nicht als feststehende Tatsache präsentiert –, haben nichts damit zu tun, wie sie ihr Wissen einschätzt – wie er glaubt – , sondern damit, wie sie ihr Verhältnis zu ihren Kommilitonen einschätzt.
Die experimentellen Studien von Leet-Pellegrini und Aries sowie die Beobachtungen von Fox deuten alle darauf hin, dass es Männern – im Allgemeinen – leichter fällt als Frauen, Kenntnisse und Meinungen zu äußern und in Gegenwart anderer einen respektgebietenden Ton anzuschlagen; Frauen fällt es dagegen leichter als Männern, die Gesprächspartner zu unterstützen.
Hört überhaupt jemand zu?
In Jules Feiffers Stück Kein Glück mit der Familie versucht eine Frau, Marilyn, ihren Eltern Jack und Helen von einem Erlebnis zu berichten, aber es gelingt ihr nicht, sie zum Zuhören zu bewegen. Marilyns unmissverständliche Versuche, ihre Geschichte zu erzählen, sind in dem folgenden Ausschnitt durch Fettdruck hervorgehoben.
Marilyn: Das muss ich euch erzählen! Als ich Mittwoch mit dem Bus aus Philadelphia zurück-
Jack: Niemand hat mir auch nur ein Wort von Philadelphia gesagt.
Helen: Marilyn, soll ich mal nach dem Hähnchen sehen?
Marilyn: Lass doch, Mutter.
Helen: Die alte Dame möchte dir etwas zur Hand gehen.
Marilyn: Ich bin wie du; wenn jemand anfängt, mir zu helfen, vergesse ich, was ich wollte.
Setz dich doch, das wird dir gefallen: Ich kam aus Philadelphia -
Jack (zu Helen): Wusstest du, dass sie verreist war?
Marilyn: Zwei Tage!
Jack: Wer hat auf meine Enkel aufgepasst? Ref 57
Marilyn: Woher soll ich das wissen? Aus den Augen, aus dem Sinn. Nein, Rudi war da. Er hat sie morgens aus dem Bett geholt und abends wieder reingepackt. Was in
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