Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Du lebst nur zweimal

Titel: Du lebst nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
Vom Netzwerk:
gibt in der japanischen Sprache keine Schimpfwörter.«
    »Du lieber Himmel, Tiger! Kein Mann mit Selbstachtung könnte es ohne seinen Vorrat an Schimpfwörtern mit den Unannehmlichkeiten des Lebens aufnehmen. Wenn Sie zu einer wichtigen Besprechung mit Ihren Vorgesetzten zu spät kommen und dann noch merken, daß Sie alle Unterlagen zu Hause gelassen haben, sagen Sie doch sicher: >na ja - Scheibenhonigs um es gemildert auszusprechen.«
    »Nein«, sagte Tiger. »Ich würde >shimata< sagen; das bedeutet >ich habe einen Fehler gemacht<.«
    »Nichts Schlimmeres?«
    »Es gibt nichts Schlimmeres.«
    »Nehmen wir an, es sei die Schuld Ihres Fahrers, daß die Papiere vergessen wurden. Würden Sie ihn nicht mit allen möglichen Schimpfnamen belegen?«
    »Wenn ich unbedingt einen neuen Fahrer haben möchte, könnte ich ihn etwa >bakyaro< - das heißt >Vollidiot< - oder sogar >konchikisho< - das heißt >du Rindvieh« - nennen. Aber das sind tödliche Beleidigungen, und es wäre sein gutes Recht, mich zu schlagen. Auf jeden Fall würde er ganz sicher aussteigen und weggehen.«
    »Und das sind die schlimmsten Wörter in der japanischen Sprache! Wie steht’s mit euren Tabus? Der Kaiser, eure Ahnen, alle eure Götter? Wünschen Sie sie nicht manchmal zum Teufel?«
    »Nein. Das hätte keinen Sinn.«
    »Na dann - schmutzige Wörter?«
    »Die gibt es in unserer Sprache nicht.«
    »Ich muß schon sagen . . . Ich meine, ich bin erstaunt! Ein gewalttätiges Volk ohne gewalttätige Sprache! Darüber muß ich eine gelehrte Abhandlung verfassen. Kein Wunder, daß euch nichts anderes übrigbleibt, als Selbstmord zu begehen, wenn ihr durch eine Prüfung fällt, oder den Kopf eurer Freundin abzuschneiden, wenn sie euch ärgert.«
    Tiger lachte. »Wir stoßen sie gewöhnlich unter Straßenbahnen oder Züge.«
    »Also meiner Ansicht nach würdet ihr besser sagen >Du -<«, Bond ließ die ganze Litanei los - »und euch so die ganze Sache von der Seele reden.«
    »Das reicht, Bondo-san«, meinte Tiger geduldig. »Das ttema ist jetzt erschöpft. Und Sie werden es freundlicherweise unterlassen, diese Worte zu gebrauchen. Seien Sie ruhig, gleichmütig, teilnahmslos. Zeigen Sie keinen Ärger. Lächeln Sie über Mißgeschicke. Wenn Sie sich den Fuß verstauchen, lachen Sie.«
    »Tiger, Sie sind ein grausamer Lehrer!«
    Tiger grinste zufrieden. »Bondo-san, Sie kennen mich noch lange nicht in meiner ganzen Schönheit. Aber jetzt gehen wir in den Speisewagen und essen und trinken etwas.«
    James Bond kämpfte mit seinen Eßstäbchen, länglichen Stücken von rohem Tintenfisch und einem Reisberg (»Sie müssen sich an die Spezialitäten unseres Landes gewöhnen, Bondo-san.«) und beobachtete die zerklüftete, von schimmernden Reisfeldern unterbrochene Küstenlandschaft, die draußen vorbeiflog.
    Er war tief in Gedanken versunken, als ihn ein heftiger Stoß von hinten traf. Seit er im Speisewagen saß, war er ständig gestoßen worden - die Japaner sind darin Meister -, doch jetzt drehte er sich um und erhaschte einen Blick auf den vierschrötigen Rücken eines Mannes, der im nächsten Abteil verschwand. Um seine Ohren verliefen weiße Bändchen, die erkennen ließen, daß er eine masko trug; außerdem hatte er einen häßlichen schwarzen Lederhut auf. Als sie in ihr Abteil zurückgingen, stellte Bond fest, daß man ihn bestohlen hatte. Seine Brieftasche war verschwunden. Tiger zeigte sich überrascht. »Das ist sehr ungewöhnlich in Japan«, meinte er entschuldigend, »aber nicht der Rede wert. Ich werde Ihnen in Toba eine neue kaufen. Es wäre ein Fehler, den Schaffner zu rufen. Wir wollen unter keinen Umständen auffallen. Man würde auf der nächsten Station die Polizei holen, und es gäbe eine endlose Untersuchung und eine Unzahl Protokolle. Den Dieb würde man sowieso nicht finden. Der Mann hat sicher inzwischen seine masko und den Hut verschwinden lassen und ist nicht mehr zu identifizieren. Ich bedaure den Zwischenfall, Bondo-san. Ich hoffe nur, daß Sie ihn vergessen.«
    »Natürlich.«
    In Gamagori, einer hübschen Stadt am Meer, verließen sie den Zug; die Fahrt mit dem Tragflächenboot nach Toba, das eine Stunde entfernt auf der anderen Seite der Bucht lag, war erfrischend. Als sie von Bord gingen, fiel Bonds Blick auf eine vierschrötige Gestalt in der Menge. Konnte es der Dieb aus dem Zug sein? Doch der Mann trug eine schwere Hornbrille, und in der Menge gab es noch viele vierschrötige Männer. Bond folgte Tiger durch die engen, mit

Weitere Kostenlose Bücher