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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Henry
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Vielleicht hat sie den Täter damit am Kopf getroffen und dann schnellstmöglich die Flucht ergriffen, indem sie in den Fluss gesprungen ist. Aber wie hätte sie sich nachts bei der starken Strömung über Wasser halten können?
    In dem Moment streife ich die Schuhe ab. Ich nehme kaum wahr, wie Drew ruft: »Was zum Teufel tust du da?« Ich hole Luft und springe.
    Das Wasser ist eiskalt. Wahrscheinlich hat jeder schon mal von der Schneeschmelze im Frühling gehört, aber das ist alles nur ein abstrakter Begriff, bis man im Wasser schwimmt. Im ersten Moment verschlägt es mir den Atem, ich kann nichts mehr denken und weiß nicht, was ich mit meinen Armen und Beinen tun muss.
    Dann fällt es mir wieder ein. Ich hole tief Luft und strample los. Jeder Tritt kostet mich unendlich viel Mühe. Meine Arme sind schwer wie Blei, meine Beine taub.
    Ich bin eine gute Schwimmerin. Mit vierzehn war ich Nachwuchs-Rettungsschwimmerin. Aber davon weiß Drew nichts. Er weiß nur, dass ich in den Fluss gesprungen bin. Er starrt mich vom Ufer aus mit verängstigtem Gesicht an, die Augen weit aufgerissen.
    Ich will ihm gerade zurufen, dass alles in Ordnung ist, als er auf einmal die Schuhe auszieht und ins Wasser springt. Mir wird klar, dass er mich retten will.
    Aber es ist ziemlich offensichtlich, dass Drew kein guter Schwimmer ist. Die Strömung treibt uns beide flussabwärts.
    Sein Kopf sinkt immer tiefer, so tief, dass ihm das Wasser bis über die Lippen reicht. Drew reagiert wie jemand, der den Finger gerade in die Steckdose gesteckt hat. Er wird steif und zuckt krampfhaft, beides gleichzeitig.
    Dann taucht sein Kopf vollkommen unter und er kommt keuchend wieder hoch, schnappt nach Luft und gerät total in Panik. Die Sonne glitzert auf dem Wasser und mir wird bewusst, dass Drew sterben könnte, genau hier und jetzt. Und es wäre meine Schuld.
    Am liebsten würde ich mich einfach nur zu einer Kugel zusammenrollen. Mir ist noch immer eiskalt. Stattdessen schwimme ich zu Drew. Er prustet, hebt den Kopf über Wasser und sieht sich nach mir um. Von meiner Rettungsschwimmer-Ausbildung weiß ich, dass ich mich ihm von hinten nähern muss, damit er vor lauter Panik nicht auf mich klettert und mich unter Wasser drückt. Da er mich jetzt aber nicht mehr sieht, bekommt er noch mehr Angst.
    Als ich nah genug bei ihm bin, rufe ich: »Stütz dich nicht auf mich!«
    Es gelingt ihm, sich umzudrehen, auf dem Gesicht eine seltsame Mischung aus Angst und Erleichterung.
    Dann verschwindet er zum zweiten Mal unter der Wasseroberfläche.
    Ich schnappe ihn am Kragen seines T-Shirts und ziehe ihn durchs Wasser.
    Als wir das Ufer erreichen, bin ich vollkommen erschöpft. Wir liegen nebeneinander, halb im Wasser, halb draußen, und keuchen.
    Ich will mich ganz ans Ufer ziehen, kann die Kraft dazu aber nicht aufbringen.
    Drew richtet sich auf den Ellbogen auf. »Was um alles in der Welt hattest du vor?«, sagt er außer Atem und seine Stimme wird mit jedem Wort kräftiger. »Du hättest mich beinahe umgebracht. Ist dir das klar? Du hättest mich beinahe umgebracht!«
    Er rüttelt mich an der Schulter, dann rutscht seine Hand ab und er liegt auf mir. Ich schreie und schlage ihn.
    Er packt mich an den Handgelenken und presst meine Arme nach hinten. Ich drücke den Rücken durch und versuche ihn von mir zu stoßen. Der metallische Geschmack von Blut breitet sich in meinem Mund aus.
    Er verzieht das Gesicht vor Angst und Wut. »Bist du verrückt?«
    Ich schluchze los, heftige Schluchzer, die seit drei Tagen in meiner Brust geschlummert haben müssen.
    »Vielleicht bin ich das. Es hätte mich treffen sollen«, stoße ich hervor. »Es hätte mich treffen sollen.«
    Stöhnend wirft sich Drew neben mich auf die Steine. Er sieht anders aus mit nassen Haaren. Verletzlicher.
    »Vielleicht hätte es das«, sagt er leise, »aber so ist es nun mal nicht gekommen. Du musst dich nicht umbringen, um zu zeigen, dass der Täter einen Fehler gemacht hat. Das würde Kayla auch nicht wollen.«
    Meine Schluchzer lassen nach, der Abstand zwischen ihnen wird größer, bis sie schließlich versiegen.
    »Weißt du, was das Seltsame ist?«, flüstere ich. »Ich habe das Gefühl, sie lebt noch. Ich meine damit nicht ihre Seele. Ich spreche von der echten Kayla. Es fühlt sich an, als wäre sie noch am Leben.«

Der vierte Tag
DREW
    Gaby ist offensichtlich total durch den Wind. Versucht sich umzubringen, mich umzubringen.
    Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun soll. Und dann lache ich

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