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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Henry
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gemeldet, wo sie einen Schrank gemietet hat, und deine Mutter ist auf einer der Überwachungskameras zu sehen. Weißt du etwas darüber?«
    »Das ist meine Mutter«, sage ich. »Das bin nicht ich.« Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich wende mich ab und fahre mir mit den Fingerknöcheln über die Augen. Ich will nicht darüber reden.
    Auf keinen Fall.

 
Der neunte Tag
KAYLA
    Schon bevor sich der Schlüssel im Schloss dreht, rieche ich das Essen. Ich sauge den Geruch begierig ein. Nur so kann ich mich davon abhalten, ihn anzuflehen, es mir sofort zu geben. Ich stehe auf, presse die Hände aneinander, damit er nicht sieht, wie sie zittern.
    »Ich habe sie gesehen«, sagt er. Er hält das Tablett so hoch, dass ich nicht erkennen kann, was darauf steht. Speichel sammelt sich in meinem Mund. In der anderen Hand hält er eine rot-weiße Plastiktüte von Target. »Ich habe deine Freundin Gaby gestern gesehen. Sie sah gut aus.«
    »Gaby?«
    Zuerst sind es nur zwei Silben, die keinerlei Bedeutung haben. Mein Leben ist zusammengeschrumpft auf diese vier weißen Wände, das marineblaue Futonbett, den Fernseher und das Tablett mit Essen, das ich ihm am liebsten aus der Hand reißen möchte. Kaum vorstellbar, dass es darüber hinaus noch etwas gibt.
    Dann sage ich Gabys Namen noch einmal vor mich hin und sehe sie plötzlich vor mir. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Leute Gaby überhaupt bemerken. Sie ist klug, arbeitet viel, aber redet kaum und versteckt sich hinter ihren schrägen Stirnfransen. Doch dann sagt sie auf einmal etwas total Witziges und man kann kaum glauben, dass es aus ihrem Mund kam.
    Er hält das Tablett noch immer über meinen Kopf und sagt: »Eigentlich wollte ich Gaby. Nicht dich. Du warst ein Fehler. Du hättest an dem Abend nicht arbeiten sollen.«
    »Tut mir leid, Meister«, sage ich.
    Ich blicke zu Boden, damit er mich nicht ansieht. Damit er nicht sieht, dass es noch eine echte Kayla in mir drin gibt. Ich bin nur ein paar Zentimeter vom Essen entfernt, aber es hätten genauso gut Kilometer sein können. Als er beim letzten Mal sah, wie ich das Essen in mich hineinstopfte, hat er mir den Rest aus der Hand gerissen und weggenommen. Er sagte, er würde mir nichts mehr zu essen bringen, wenn ich nicht die Etikette wahren würde. So nannte er es. »Die Etikette wahren.« Ich bin mir ziemlich sicher, der Ausdruck stand auf dem Zulassungstest für die Hochschule. Würdevoll, anständig, schicklich. In einem verborgenen Raum mit einer Kopfwunde und einem Typen zu hausen, den man Meister nennen soll, ist allerdings alles andere als das. Trotzdem muss ich mitspielen. Er darf nicht mitbekommen, dass es mich noch gibt. Im Inneren des anderen Mädchens. Ich muss den richtigen Moment abwarten. Und dann habe ich nur eine einzige Chance.
    Ich stelle mir vor, wie ich den silbernen Stift aus seiner Tasche ziehe und ihm in die Kehle ramme, so wie sie es in Filmen immer machen, wenn jemand in der Wildnis zu ersticken droht und der Arzt nur einen Stift zur Hand hat. Was passiert, wenn man bei jemandem einen Luftröhrenschnitt durchführt, der keinen braucht?
    Der Stift schimmert matt im Licht. Da erst sehe ich, dass es ein metallenes Schablonenmesser ist, wie wir es im Kunstunterricht benutzen. So ein Messer, bei dem eine kleine, abgeschrägte Rasierklinge unter der Hülle steckt.
    Er mustert mich noch immer von oben bis unten, sagt aber nichts mehr, nachdem ich mich dafür entschuldigt habe, dass ich ein Fehler bin. Schließlich schüttelt er nur den Kopf und verzieht angeekelt den Mund. Ich sollte mich darüber freuen, denn das bedeutet, dass er noch immer kein Interesse daran hat, mich auf das Futonbett zu stoßen.
    Aber wenn er das nicht will, wofür braucht er mich dann? Selbst wenn er mich wollen würde, würde er mich niemals gehen lassen. Ich habe sein Gesicht gesehen. Ich weiß genau, wie er aussieht.
    Ich wünschte, ich wäre netter zu Brock gewesen. Er war so ruhig, dass ich nie wusste, was er dachte. Bis ich mit ihm Schluss gemacht habe. Dann sprudelte es nur so aus ihm heraus, doch da war es zu spät. Weil ich schon Nathan kennengelernt hatte.
    Nathan ist Schiedsrichter. Er ist zwanzig, geht auf die Portland State Universität und will Lehrer werden. Wir sind nach den Spielen miteinander ins Gespräch gekommen und ich dachte, ich mag Brock, es ist nett mit ihm, aber ich werde mit ihm nicht den Rest meines Lebens verbringen. Mir fiel auf, dass Brock im Vergleich zu Nathan noch ein Kind war. Also habe ich

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