Du machst Schule!: Warum das Bildungssystem versagt, was junge Menschen wirklich lernen müssen und wie wir ihnen dabei helfen
Buch »Du Opfer!« von Mechthild Schäfer und Gabriela Herpeli werden Erfahrungen zum Thema Mobbing in der Schule geschildert, die ich zu hundert Prozent teile. Eine halbe Million Schulkinder sind Mobbingopfer. Ich glaube sogar, die tatsächliche Zahl liegt noch viel höher, und die Schulen streiten dies vehement ab. Mobbing hat nichts mit einer einmaligen Hänselei zu tun. Die Verletzungen, die ein Mensch durch Mobbing erleidet, bestehen häufig ein Leben lang. Das genannte Buch räumt mit der überholten Vorstellung auf, dass ein gemobbtes Kind seine Lage selbst zu verantworten habe. Im Gegenteil, seine Lage ist schier aussichtslos, es bedarf dringend der Unterstützung. Mobbing ist ein höchst manipulativer Gruppenprozess, in dem der soziale Machtgenuss einiger Peiniger im Vordergrund steht. Mobber sind nach Dominanz strebende Kinder, denen es Spaß macht, eine ganze Klasse zu unterhalten und durch die bewundernden Reaktionen ihrer Mitschüler eigene Unzulänglichkeitsgefühle auszugleichen. Wenn die Alphaposition gesichert ist, kann ein verletzliches Opfer gesucht werden, gegen das nun alle Machenschaften ausgespielt werden, um die Überlegenheit weiter auszukosten. Fieslinge haben nie gelernt, dass ein Selbstwert aus persönlicher Entwicklung entsteht. Sie machen ihre Wichtigkeit daran fest, wie viele Menschen sie nach ihrer Pfeife tanzen lassen können. Ref 9
In der Regel haben wir es in jeder Klasse mehr oder weniger mit ein oder zwei – manchmal auch miteinander konkurrierenden – Haupttätern zu tun, die vor allem eines gelernt haben: dass ihr Verhalten zum Ziel führt. Sie sind hervorragend vernetzt und von Jasagern umgeben, welche ihre Intrigen unterstützen. Die erfolgreichsten Mobber sind meist nicht die auffälligen Querulanten, denen eine Zukunft im Gefängnis prognostiziert wird, sondern die intelligenten, gut integrierten Kinder, die hinterrücks agieren. Und sie bleiben unbehelligt –
vor allem, weil die Lehrer lieber wegsehen, als ungebührliches Verhalten zu stoppen. Das stärkt in erster Linie die Position des Gewissenlosen, der sich vor lauter Begeisterung kaum noch halten kann, weil er sogar die Erziehungspersonen im Griff hat.
Der Einzige, der Mobbing unterbinden kann, ist der Lehrer! Nur er kann es im Ansatz erkennen, sofort Gegenmaßnahmen zum Schutz der Unterlegenen einleiten, richtiges Verhalten anerkennen und die Täter für die Folgen ihres Handelns zur Verantwortung ziehen. Doch meist wird das Opfer bestraft: Ihm wird suggeriert, dass es auch noch selbst zur misslichen Lage beiträgt. »Zum Streiten gehören immer zwei« mag als Überzeugung in Spielsituationen gelten, in denen sich alle an die gleichen Regeln halten. Doch Schikanierer spielen nach eigenen Regeln, und zwar meist entgegen sozialen Normen. Wer das Verhalten von Fieslingen toleriert, ihnen aus welchen Gründen auch immer keine Grenzen setzt und über ihre Machenschaften hinwegsieht, ist aktiv daran beteiligt, dass sich wahre Werte in einer Gesellschaft nicht durchsetzen können! Er möge sich niemals beklagen, wenn er eines Tages auch selbst einmal »über den Tisch gezogen« wird.
Verhalten, das die Freiheit und das Wohl eines anderen beschneidet, muss sanktioniert werde. Doch die Schule ist ständig bemüht, »Arschlochverhalten« zu rechtfertigen. Das ist unsinnig! Ob gutes oder schlechtes Elternhaus, ob geliebt oder nicht geliebt, ob arm oder reich: Es gibt für niemanden eine Legitimation dafür, seine Mitmenschen zu unterdrücken und schlecht zu behandeln. Es ist falsch verstandenes Erzieherverhalten, im Bösen stets das Gute finden zu wollen. Damit wird genau denen der Rücken gestärkt, die eigentlich zur Verantwortung gezogen werden müssen. Jeder, der wegsieht, stärkt den Tyrannen den Rücken. Denn so bleiben viele, viele Menschen auf der Strecke, die aus lauter Angst ihre Potenziale brach liegen lassen.
Wenn Schüler mobben
In vielen Klassen bilden sich rasch ungünstige Strukturen, wenn Lehrer dies zulassen. Oft reicht es einfach schon, dass kein Lehrer auf die spürbaren und durch verschiedene Vorfälle deutlich sichtbaren Machtverhältnisse und Tendenzen reagiert. Schnell entwickeln sich dann Zustände, die für manche Schüler unerträglich werden können.
PRAXISBEISPIEL ______________________________________
Rafael ist ein hübscher elfjähriger Junge mit feurigem Temperament. In seinen Adern fließt spanisches Blut. Er zeigt sich im Schulgeschehen in erster Linie dadurch, dass er ständig
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