Du machst Schule!: Warum das Bildungssystem versagt, was junge Menschen wirklich lernen müssen und wie wir ihnen dabei helfen
Zeit macht, für den wird die Zeit kurzweilig.
Ideen für Lehrer: Gestalten Sie Ihren Unterricht individueller. Aufmerksamkeit können Sie nur erzielen, wenn Ihr Unterricht mit der Lebenswelt Ihrer Schüler zu tun hat. Schüler interessieren sich nur dann für ihren Lehrer und das, was er zu sagen hat, wenn sie sich verstanden fühlen.
Ideen für Eltern: Je mehr Sie als Eltern den Tag Ihres Kindes verplanen, desto weniger kann es von sich aus aktiv werden. Stören Sie ein Kind, das sich gerade in einer Beschäftigungsphase befindet, möglichst nicht. Ermuntern Sie es dazu, sich selbst Betätigungen zu suchen.
»Das kann ich nicht!«
Den Ausspruch »Das kann ich nicht« hört man als Lehrer so oft, dass man sich zwangsläufig fragen muss: »Was kann ein Schüler überhaupt noch?« Schon auf dem Gang zum Klassenzimmer kommen mir die Schüler entgegengerannt und berichten, dass sie keine Hausaufgaben gemacht haben, weil sie diese nicht gekonnt hätten. Eines Tages, als wieder einmal ein Schüler eine einfache Aufgabe »nicht konnte«, diktierte ich den Schülern folgende Sätze ins Musikheft:
Kann ich nicht, heißt: Will ich nicht.
Wer will, sucht nach Wegen. Wer nicht will, sucht nach Gründen. L’habis Antwort auf >Kann ich nicht, habe ich nicht verstanden< ist: >Was hast du denn getan, um es zu verstehen?<
Die Reaktion war, dass eine Mutter, Elternvertreterin in dieser Klasse, einen Brief an den Schulleiter verfasste, in dem sie sich bitter über diese Aussage beschwerte: Ich hätte den Schülern nicht meine persönlichen Lebensweisheiten mitzuteilen, sondern mich auf meine Arbeit als Musiklehrerin zu konzentrieren. Es wäre schon schlimm genug, dass die armen Kinder den Auftrag bekämen, sich bei ihren Freunden schlau zu machen, wenn sie mal eine Note nicht benennen könnten.
Die Dame weiß natürlich nicht, dass wir Lehrer den Schülern durchaus eigenständiges Denken zutrauen und, nebenbei bemerkt, niemals Sachen abfragen würden, die wir nicht bis zum Exzess trainiert haben. Abgesehen davon ist es kein unzumutbarer Auftrag, sich selbstverantwortlich darum zu kümmern, dass man auf dem neuesten Stand ist.
Ähnliche Reaktionen von Seiten der Eltern kommen übrigens auch oft, sobald ein Lehrer ein im Unterricht behandeltes Thema in abgewandelter Form als Hausaufgabe stellt – mit dem Hinweis, den Sachverhalt zu klären und bei Nichterfassen konkret aufzuschreiben, was man als Schüler nicht verstanden
hat. Das Ziel: logisch-strukturelles Denken ankurbeln. Bestimmt schreien die meisten Schüler zu Hause sofort los, sie könnten das nicht, weil das so noch nicht im Unterricht durchgenommen wurde. Dann rasen die Eltern in die Schule oder telefonieren sich mit anderen Müttern die Ohren heiß, beschweren sich, der Lehrer sei faul und die armen Kinder müssten Aufgaben lösen, die noch gar nicht im Unterricht besprochen worden sind.
Diese Hetzkampagnen einiger Eltern, die erstens durch ihre Überbehütung lebensuntüchtige Kinder erziehen, sich zweitens niemals mit dem Lehrer persönlich austauschen würden und drittens Lehrer in ihrer pädagogischen Arbeit durch solcherlei Drohgebärden sehr verunsichern, motivieren Heranwachsende niemals zu eigenverantwortlichem Handeln. Wenn ich während meiner eigenen Schulzeit früher wegen Krankheit eine Woche fehlen musste, wurde von mir erwartet, dass ich versäumten Stoff bei Schulkameraden erfragte und nacharbeitete, um rasch wieder Anschluss zu finden. Heute melden sich in jeder Stunde Schüler, die gefehlt haben, und erwarten, dass der Lehrer mit ihnen den Stoff noch einmal durchkaut. So kommt es, dass die Schüler einer Klasse manche Themen unzählige Male wiederholen müssen und schließlich der Lehrer und die meisten Schüler kurz vor dem Wachkoma stehen. Auch ausgeteilte Kopien werden nachlässig abgeheftet, in manchen Taschen sieht es aus wie im Altpapiercontainer. Da kommt keiner auf die Idee, einen Freund zu fragen, ob er sich den Zettel noch einmal kopieren dürfe. Sondern es wird lauthals in die Klasse getönt, dass man seine Aufgabe nicht erledigen konnte, weil man den Zettel verloren habe ...
Ich habe meine Schüler selbst gefragt, ob der Bremsklotz »Kann ich nicht« nicht eher eine Ausrede für die eigene Faulheit sei. An dieser Stelle bedanke ich mich zunächst für all die ehrlichen Antworten. Ich bekam tiefe Einblicke, die mir
aus meiner Erwachsenensicht heraus gar nicht mehr auf Anhieb eingefallen wären, die jedoch sofort Erinnerungen an mein
Weitere Kostenlose Bücher