Du machst Schule!: Warum das Bildungssystem versagt, was junge Menschen wirklich lernen müssen und wie wir ihnen dabei helfen
dann bestätigen zwei Drittel der Mitschüler diese Aussage. Wie viel von dieser Aussage ist nun vorgeschoben, weil man vertuschen möchte, dass man nicht gelernt hat, und so hofft, nicht dranzukommen – und wie viel Bewertungsängste, vor allem die Angst, für dumm gehalten oder ausgelacht zu werden, hindern den Schüler tatsächlich an der aktiven Beteiligung?
Ich beobachte einen Trend, der mir wirklich Kopfzerbrechen bereitet. Die meisten Menschen haben heute Angst zu sagen, was sie wollen. Sie grübeln den ganzen Tag nur herum,
was andere über sie denken könnten, ob eine Frage vielleicht peinlich sei, ob man gar nicht fragt, weil man das Gewünschte vielleicht sowieso nicht bekommt ... Also ziehen sie vor, lieber gar nichts zu sagen, als Gefahr zu laufen, sich zu blamieren. Mit diesem resignativen Verhalten werden die Schüler jedoch nie lernen, für ihre Interessen zu kämpfen.
In diesem Zusammenhang erzähle ich den Schülern gern, dass ich häufig teure Workshops besuche und dass ich die Lehrgangsleiter hemmungslos mit Fragen löchere, bis ich alles verstanden hätte. Ich erkläre ihnen, dass auch ich, als erwachsener Lehrer, nur einen Bruchteil vom Leben kennen kann. Es wäre ein Unding für mich, für ein Seminar viel Geld zu bezahlen und dann wieder unwissend nach Hause zu fahren, nur um vor den anderen Leuten ja gut dazustehen. Dann könnte ich das Geld auch gleich zum Fenster herauswerfen. Mir ist es so etwas von egal, was andere von mir denken könnten, und das Seltsame ist: Niemand denkt etwas Schlimmes von mir. Vielleicht sind andere Teilnehmer ja froh, dass ich die Fragen stelle, die sie sich selbst nicht zu stellen trauen.
Wir Erwachsenen sollten die Heranwachsenden mehr ermutigen, Fragen zu stellen. Kinder können einem wahre »Löcher in den Bauch« fragen. Diese Neugier jedoch mit gedankenlosen Sprüchen wie »Was du wieder für Fragen stellst« oder »Wie kann man nur so dumm sein« zu unterbinden, erzeugt Mutlosigkeit.
Ich habe meinen eigenen Kindern immer Mut gemacht, in der Schule Fragen zu stellen. Ich erinnere mich jedoch auch noch gut daran, dass meine Tochter eines Tages heulend aus der Schule kam, weil ein Vertretungslehrer im Fach Mathematik sie bloßgestellt hatte. Er schrieb Aufgaben an die Tafel und meine Tochter fragte ihn, wie sie die Aufgaben lösen sollte. Daraufhin rastete der Lehrer förmlich aus und redete sich in Rage, wie ein Schüler nur seine eigene Blödheit so zur
Schau stellen könne, und ob sie darauf auch noch stolz sei. Es war derselbe Lehrer, der wenige Tage später einer Geigenschülerin von mir Gleiches vorwarf, weil ihr etwas unverständlich war – und sie nachfragte. Ich gab ihr zur Antwort, sie solle sich das zukünftig nicht gefallen lassen und dem Lehrer beim nächsten Mal höflich sagen: »Herr Lehrer, ja, ich bin dumm, deshalb gehe ich zur Schule. Und Sie werden dafür bezahlt, aus mir einen schlauen Schüler zu machen.« Für eine Minute ging ein Strahlen über das Schülergesicht, das jedoch kurz darauf wieder der Mutlosigkeit wich.
Wenn Jugendliche sagen: »Ich trau mich nicht«, dann sind die Erwachsenen enorm gefragt. Natürlich gibt es einige wenige Schüler, die aus den Annehmlichkeiten des Fragenstellens für sich Kapital schlagen, liebend gern andere für sich denken lassen und die Ergebnisse für sich nutzen. Auch gibt es die Drückeberger, die mit scheinbar angstbehafteten Aussagen raffiniert verschleiern wollen, dass sie ein Problem mit der Selbstmotivation haben. Doch ein Großteil der »mutlosen« Schüler verharrt in der Passivität, um bloß nicht aufzufallen. Damit berauben sie sich jeglicher positiver Erfahrung, dass nur gewinnen kann, der wagt. Mehr denn je ist es die Aufgabe von Lehrern, diese Schüler liebevoll zu zwingen, Schritte aus der »Höhle« zu wagen. Das Risiko, dass eine Frage nicht zufriedenstellend beantwortet wird beziehungsweise die Antwort nicht weiterführt, ist sehr gering. Und selbst wenn es eintritt, kann das als Wegweiser für zukünftiges Handeln gewertet werden. So wie man bei jedem Lernprozess erlebt, dass es Erfahrungen ohne Niederlagen genauso wenig geben kann wie den Tag ohne die Nacht. Ich möchte den Schülern zurufen: Traut euch, Fehler zu machen und Fragen zu stellen. Es gibt keine dummen Menschen, sondern lediglich interessierte und weniger interessierte. Um eine gute Frage zu stellen, muss man nämlich sein Gehirn bemühen und selbst auch etwas denken. Und wie
leicht kann man jede Hänselei
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