Du machst Schule!: Warum das Bildungssystem versagt, was junge Menschen wirklich lernen müssen und wie wir ihnen dabei helfen
den Lernerfolg. In einer guten Beziehung lernen Schüler immer. Diese gelingt nie von oben nach unten, sondern nur auf Augenhöhe. Damit ist die Qualität der Beziehung für den Lernerfolg entscheidender als die Lehrmethodik. Ein guter Lehrer-Schüler-Kontakt zeichnet sich aus durch Vertrauen, Respekt, ein hohes Maß an Empathie, Glaubwürdigkeit und Kompetenz. Ein freundlicher, interessierter und achtsamer Lehrer erreicht immer die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen eines Schülers. Vor allem, wenn er dessen Widerstände nicht als Angriff auf seine eigene Person interpretiert, sondern als wichtige Hinweise auf dessen Lernprozesse deutet. Damit hat der alte besserwissende Lehrer, der weiß, was gut für den Schüler ist, ausgedient. Nur wenn ein Pädagoge die Signale von Heranwachsenden deuten kann, ist er überhaupt in der Lage, einen guten Kontakt zum Lernenden aufzubauen. Ein guter Austausch ist der fruchtbare Boden, auf dem persönliches Wachstum gelingen kann. Fehlt er, dann fehlt die positive Ja-Haltung, die Lernbereitschaft. Dann kann der Pädagoge tun, was er will, der Schüler wird ihn ablehnen und sich nicht beraten lassen. Lehrer, die um den Wert dieses Kommunikationsaspektes in der zwischenmenschlichen Interaktion wissen, werden diese Relevanz für den Lernerfolg niemals mehr unterschätzen. Das Verständnis des Lehrers für die Persönlichkeit
des Schülers, für seine Stärken, seine Schwächen, Vorlieben, Interessen ist wesentlich für die Schaffung einer guten Beziehungs- und Lernebene. Sie versetzt den Schüler in eine Haltung von Einverständnis, Bereitschaft und Achtung. Um an dieses Ziel zu gelangen, muss der Lehrer in erster Linie schweigen, zuhören und beobachten können. Nur so kann er den erforderlichen Perspektivwechsel vollziehen und die Welt mit den Augen des Schülers kennenlernen.
Will der Erzieher verstanden werden, dann kommt er nicht darum herum, aus der Sicht des Heranwachsenden zu denken und zu lenken. Bei Heranwachsenden gibt es völlig andere Denkvorgänge als bei Erwachsenen. Holt man Schüler nicht dort ab, wo sie stehen, dann fühlen sie sich unverstanden. Ein unverstandener Mensch ist ein unglücklicher Mensch. Er fühlt sich minderwertig und in seiner Person nicht respektiert. Auf dieser Basis muss jedes weitere Beziehungsmanagement scheitern. Lehrer, die die Welt durch die Brille ihres Gegenübers wahrzunehmen vermögen, sind in der Lage, sich von ihrer eigenen überlegenen Warte zu lösen. Sie verfügen über eine interessierte und flexible Haltung und können dadurch auch selbst wiederum zu neuen Einsichten und Lösungsansätzen kommen. So bleibt Leben spannend und entdeckungsreich. Am Ende steht für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation: Die Achtung vor den Wünschen und Empfindungen des Einzelnen. Es ist die entscheidende respektvolle Arbeitsgrundhaltung, um zu lernen und das Leben zu verstehen. Ref 45
Dabei ist wesentlich, dass Schüler tatsächlich ernst genommen werden. Ein anschauliches Beispiel las ich in einem Beitrag des Pädagogik-Professors Peter Fauser, einer der Autoren der McKinsey-Studie: Er geht darauf ein, dass Kinder auf die Frage des Physiklehrers »Warum schwimmt ein Schiff?« die verschiedensten Antworten haben: Weil es aus Holz ist. Weil es einen Kapitän hat. Weil es durch den Auftrieb das Wasser
verdrängt. Der Physiklehrer, der nur aus seiner fachlichen Perspektive auf das Thema schaut und auf eine ganz bestimmte Antwort hinauswill, interessiert sich auch nur für diese eine Antwort. Dabei sind alle anderen Antworten ebenso richtig! Fauser gibt zu bedenken, dass jeder gute Lehrer seinen Blickwinkel ändern muss, um den Schülern gerecht zu werden. Wie solch ein Lernen auf Augenhöhe in der Praxis aussehen kann, habe ich selbst unlängst erlebt.
PRAXISBEISPIEL ______________________________________
Eines Tages besuchte ich den Geschäftsführer eines türkischen Bildungsvereins, der sehr an Persönlichkeitsarbeit interessiert ist. Im Laufe unseres Gedankenaustausches zeigte er mir einen Ausschnitt aus einem alten türkischen Kriegsfilm, in dem junge Menschen heimlich musizieren und singen, als plötzlich deutsche Soldaten auftauchen und die Versammlung auflösen wollen. Es sei verboten, türkisch zu singen, sie dürften nur Mozart oder Beethoven spielen. Auf einmal ertönt Beethovens »Ode an die Freude« in einer türkischen Version, später sogar abgewandelt in einer Folklorefassung. Während ich fasziniert den Klängen lauschte, dachte ich,
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