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Du Mich Auch

Du Mich Auch

Titel: Du Mich Auch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Berg
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sichtlich nicht zu den soignierten Gästen gehörte. Ein Hallodri, das habe ich auf den ersten Blick gesehen.«
    »Ein, ein Hallo-hallodri«, stotterte Evi. »Allerhand.«
    »Ein Gigolo! Er wollte partout in die Präsidentensuite. Unglaublich! Der Concierge verweigerte ihm den Zutritt, doch er setzte sich durch, der Schlingel. Gleich drei Damen würden in der Suite auf ihn warten, behauptete er. Es war beim Frühstück das einzige Gesprächsthema. Wie moralisch derangiert muss man denn sein, dass man sich als Frau …«
    Evi schwindelte es bei der Vorstellung, dass sie möglicherweise Wand an Wand mit ihren Eltern gelegen hatte, als Robert sie ins Paradies katapultierte. »Essen ist fertig«, stöhnte sie.
    Der Abend entpuppte sich als eine quälende Abfolge von selbstgefälligen Anekdoten ihres Vaters und feinen Sticheleien ihrer Mutter. Evi schenkte großzügig vom besten Rotwein ein. Irgendetwas sagte ihr, dass Werner früher als sonst zurückkehren würde. Dann wollte sie auf keinen Fall allein mit ihm sein.
    Ihr Gespür trog sie nicht. Als sie das Dessert servierte, stand mit einem Mal Werner im Esszimmer.
    »’n Aaabend, die Herrschaften«, lallte er.
    Sein Blick war glasig, das rostbraun gefärbte Haar hing ihm unordentlich in die Stirn und das Hemd aus der Hose. Er hatte ziemlich geladen, das sah man sofort.
    »Wie schön, dass du da bist«, flötete Evi. »Setz dich doch, Liebling. Ich hole neuen Wein!«
    Sie lief in die Küche und entkorkte eine weitere Flasche. Dann musterte sie nachdenklich den Schrank, in dem sie die Medikamente aufbewahrte. Ganz oben auf der Hitliste ihrer erfolglosen Abnehmversuche stand der exzessive Gebrauch von Abführmitteln. Evi besaß sie in jeder erdenklichen Form: Tabletten, Pulver, Tropfen, Dragees. Der ganze Schrank war voll davon.
    Schrammte sie auf der emotionalen Talsohle entlang? Ja, genauso war es. Bedauerlicherweise würde sie gewisse Kollateralschäden in Kauf nehmen müssen. Ihre Eltern würden nicht verschont bleiben, wenn sie jetzt tat, was eine Eingebung ihr nahelegte. Aber der Abend war derart unerfreulich verlaufen, dass sich ihr Mitleid in Grenzen hielt.
    »Eviiii, wo bleibst du denn?«, tönte Werners ungehaltene Stimme aus dem Esszimmer.
    »Komme gleich!«
    Gab es irgendjemanden da drinnen, der es gut mit ihr meinte? Interessierte sich einer der drei wirklich für sie? Sah auch nur einer mehr in ihr als das sturzblöde Pummelchen?
    Entschlossen öffnete sie den Schrank. Dann nahm sie ein Fläschchen heraus und träufelte die wasserhelle Flüssigkeit in den Wein. Leise zählte sie mit: »Ein Tröpfchen für Mama, ein Tröpfchen für Papa, ein Tröpfchen für Werner, noch ein Tröpfchen für Mama …«
    Die Dosis hätte für einen ganzen Reisebus verdauungsgestörter Rentner gereicht. Beschwingt kehrte Evi mit der Flasche ins Esszimmer zurück. Sie würde ab jetzt nur noch Wasser trinken. Und Werner würde heute Nacht wenig Lust verspüren, etwas »Neues« auszuprobieren.

Kapitel 6
     
    Evi warf einen letzten Blick in den Spiegel. Mata Hari war eine Klosterschwester gegen sie. Das neue schwarze Cocktailkleid bauschte sich figurfreundlich um ihre Hüften, dafür war der Stoff am Dekolleté umso spärlicher ausgefallen. Wie übergroße Marzipankugeln ruhten ihre Brüste auf den Schalen eines funkelnagelneuen Push-up-BHs. So sahen sie aus, die Waffen einer Frau. Ihre wahre Waffe aber war ihr Grips. Nur sah man den zum Glück nicht auf den ersten Blick.
    Dr. Mergenthaler war mehr als erfreut gewesen über ihren Anruf. Sie hatte etwas von »Beratungsbedarf« genuschelt und ihre Bewunderung für seine herausragende Kompetenz sowie seinen umwerfenden Charme zum Ausdruck gebracht. So etwas erlebte ein Finanzberater nicht alle Tage. Sofort hatte er einem Treffen im Restaurant »Délice français« zugestimmt, das von gleich zwei Sternen geziert wurde.
    »Eviiii«, ächzte es aus dem Schlafzimmer.
    Werner lag seit zwei Tagen im Bett. Er verließ es nur, um das Badezimmer aufzusuchen. Es war absolut erstaunlich, wie viel Flüssigkeiten in ihm auf Entleerung gewartet hatten. Auch Evis Eltern waren krank. Und Evi wurde nicht müde, von dem bösen, bösen Magen-Darm-Virus zu sprechen, der in der Stadt grassierte.
    Sie warf einen Mantel über ihr gewagtes Kleid und ging ins Schlafzimmer. Werner sah zum Fürchten aus. Sein Gesicht wirkte fahl, seine rötlich verfärbten Haare hingen ihm verfilzt in die Stirn. Er trug einen uralten, fleckigen Jogginganzug. Ein jämmerlicher

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