Du Mich Auch
Anblick. Aber war das etwas Neues?
»Schatzi, ich gehe zum Bridge«, verkündete sie.
»Heute ist Dienstag. Dein Bridgeabend ist am Donnerstag«, bellte er. »Den Mantel kannst du gleich wieder ausziehen. Dein Platz ist hier, im Haus. Wenn du Gesellschaft brauchst, stell den Fernseher an.«
»Wir trainieren eine Extrarunde für das Bridgeturnier in zwei Wochen«, erklärte Evi vollkommen ruhig. Sie war vorbereitet. Von nun an würde sie immer vorbereitet sein, sie, die Musterschülerin von einst.
»Es ist eine gesellschaftliche Pflicht, der ich nachkommen muss«, bekräftigte sie. »Ruh dich aus, mein armer, armer Liebling. Und trink den Tee, den ich dir gekocht habe.«
»Verdammt, ich will keinen Tee! Ich habe schon Kopfschmerzen von deinem blöden Tee!«
»Dann trink eben die leckere Fleischbrühe, Liebling. Sie steht auf dem Nachttisch.«
Es hatte Evi einige Überwindung gekostet, die segensreichen Tropfen nicht weiterhin in Werners Getränke zu träufeln. Aber sobald er sich einigermaßen erholt hatte, würde sie die Behandlung selbstverständlich fortsetzen. Leise schloss sie die Tür. Ihr Gesicht glühte. Ihr Herz klopfte. Dann nahm sie den Porscheschlüssel von der Kommode im Flur und huschte davon.
Es war das erste Mal, dass sie Werners Auto fuhr. Der Porsche war ein Brenner. Sie spürte das harte Leder unter ihren Schenkeln. Das Röhren des Motors ließ ihren ganzen Körper vibrieren. Wieder etwas, was sich unverschämt gut anfühlte in ihrem neuen Leben.
Natürlich hatte sie von Beatrice und Katharina zweckdienliche Hinweise für den bevorstehenden Abend eingeholt. An der nächsten Ampel drehte sie am Rückspiegel und holteden neuen Lippenstift heraus. Die hellrote Farbe gab ihrem runden Gesicht etwas Verwegenes. Doch plötzlich wurde ihr mulmig. Würde ihr Plan aufgehen? Da half nur eins. Sie klickte Beatrices Nummer in ihrem Handy an.
»Häftling Evi hat den Eheknast soeben verlassen«, rief sie. »Ich bin so aufgeregt wie vor einem Debütantinnenball.«
»Und Werner?«, fragte Beatrice.
»Hat seine lästige Angewohnheit zu atmen leider noch nicht aufgegeben«, antwortete Evi. »Aber er leidet, immerhin.«
»Daran kann er sich gleich schon mal gewöhnen.«
»Er hat Kopfschmerzen.«
»Vermutlich wächst ihm gerade eine zweite Gehirnzelle. Hast du das rattenscharfe kleine Schwarze an? Mit freier Sicht auf die Alpen?«
»Aber klar. Und Highheels.«
»Sehr gut«, lobte Beatrice. »Flirte ihn in Grund und Boden, deinen netten kleinen Finanzberater!«
»Wenn das man gutgeht. Der Typ ist staubtrocken.«
»Und steht auf dich«, entgegnete Beatrice. »Mission possible. Sei das unbedarfte Weibchen, das er in dir sieht. Die naive, kleine Ehefrau, die nicht bis drei zählen kann. Und dann pul alles aus ihm raus, was du wissen musst!«
Evi nickte eifrig, obwohl Beatrice das nicht sehen konnte. Dann legte sie auf und gab Gas. Nichts konnte sie jetzt mehr stoppen. Sie hatte das Gefühl, sich neuerdings auf der Überholspur zu befinden.
Als Evi das Restaurant betrat, lief sie ausgerechnet einer Bekannten aus dem Bridgeclub in die Arme. Alexandra Kellermann war eine Dame der Gesellschaft. Eine von der schmallippigen Sorte, die ihr ereignisloses Leben mit einem Hang zuKlatsch kompensierte. Verflixt. Mit solchen Komplikationen hatte Evi nicht gerechnet. Verlegen knetete sie ihre Handtasche, während die Bridgeschwester sie von oben bis unten musterte.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte Alexandra Kellermann misstrauisch.
»Äh – wonach sieht’s denn aus?«, fragte Evi zurück.
Die Dame betrachtete die neue Evi, ein hocherotisches Vollweib, das sie noch gar nicht kannte. »Als ob jemand versucht, ein Ungleichgewicht im Universum zu korrigieren.«
Evi lächelte zuckersüß. »Voll ins kleine Schwarze getroffen. Sehen wir uns Donnerstag?«
»Ja, schon. Aber …«
Doch Evi setzte schon zur Flucht nach vorn an. Mit offenem Mund sah Alexandra Kellermann ihr hinterher.
Mitten im Restaurant, an einem mit Blumen beladenen Tisch, wartete bereits Dr. Mergenthaler. Er erhob sich ruckartig, als Evi auf ihn zusegelte wie ein schwarzer Kugelblitz. »Gnädige Frau, welch eine außerordentliche Freude!«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Evi und setzte sich auf den Stuhl, den er ihr umständlich zurechtrückte.
Dr. Mergenthaler war Anfang sechzig, spindeldürr und kämmte sich drei graue Strähnen vom rechten Ohr zum linken. Sein mageres Gesicht verschwand fast hinter einer wuchtigen
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