Du Mich Auch
sie vom Podium.
Wie in Trance kehrte Katharina an ihren Platz zurück, während Minister Hoffner einen Zettel hervorzog und einlangatmiges Zehn-Punkte-Programm herunterleierte, in dem es um Familie, Schule und Kinder ging.
»Alles in Ordnung?«, flüsterte Evi besorgt und legte eine Hand auf Katharinas bebende Schulter.
Ohne sich umzudrehen, flüsterte sie zurück: »Nichts ist in Ordnung. Gar nichts. Heute habe ich meine Tage bekommen. Es tut so weh. Ich könnte ihn erwürgen.«
»Denk an Robert«, zischte Beatrice. »Denk an die Kamera, die er genau in diesem Augenblick an deinem Bett installiert. Ich hoffe doch, wir bekommen demnächst eine Einladung zum gemütlichen Politpornogucken.«
Evi kämpfte gegen einen unwiderstehlichen Lachreiz, und sogar Katharina musste ein wenig lächeln.
Beatrice strich sich den Rock glatt. »Aber mit Chips und Käsewürfeln, bitte.«
Alle drei lehnten sich zurück auf den unbequemen Stühlen und beobachteten den Redner wie Jäger einen Hirsch auf der Lichtung.
Minister Hoffner sah aus wie ein Mann, den man am besten sofort wieder vergaß. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, eine graue Krawatte und war das personifizierte Mittelmaß. Mittelgroße Statur, mittelmäßiges Gesicht, farbloses Haar. Selbst seine Stimme war eigenartig farblos. Die Aura der Macht konnte Evi ganz und gar nicht entdecken.
»… möchte ich diesen Abend mit einem Zitat beenden, das mich stets auf meinem erfolgreichen beruflichen Weg begleitet hat«, sagte der Minister gerade selbstgefällig. »Es lautet: Non scholae sed vitae discimus. Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir.«
»Angeber«, sagte Beatrice angewidert. »Die Rede hat ihm eh Katharina geschrieben. In Latein war sie immer ein As.«
Mit ausgebreiteten Armen nahm der Minister den Applaus entgegen und verließ die Bühne. Nach einem vernichtenden Blick auf Katharina setzte er sich wieder. Nun trat der Schuldirektor auf, die Schülerkapelle stimmte einen launigen Marsch an, dann war das Programm beendet.
Katharina erhob sich. Sie machte eine Geste zu Evi und Beatrice hin, die ebenfalls aufstanden. »Herr Dr. Hoffner, darf ich Sie mit meinen« – sie lächelte die beiden kurz an – »neuen Mitarbeiterinnen bekannt machen?«
Der Familienminister hob überrascht die Augenbrauen. »Davon hatten Sie mir aber noch gar nichts erzählt, Frau Dr. Severin.«
»Nun, ich brauche weibliche Verstärkung im Gleichstellungsausschuss. Frau Wuttke und Frau Kramer sind die neuen Frauenbeauftragten.«
Evi und Beatrice lächelten verlegen. Die neuen Frauenbeauftragten? Was führte Katharina denn jetzt wieder im Schilde?
»Die beiden kümmern sich um relevante postfeministische Themen«, erklärte Katharina. »Gewalt in der Ehe, Prostitution, Scheidungsrecht.«
Stimmt, dachte Evi, dafür sind wir wahrlich Spezialistinnen. Wer, wenn nicht wir?
Skeptisch musterte Horst Hoffner die beiden Frauen, die so gar nicht wie Politikerinnen aussahen. »War schön, Sie kennenzulernen«, sagte er obenhin. »Leider habe ich jetzt noch dringende Sitzungen. Frau Dr. Severin, Sie begleiten mich doch?«
»Wir sehen uns später«, antwortete sie. »Zunächst absolviere ich noch einen Pressetermin.«
»Ach, und mit wem, wenn ich fragen darf?«
»Mit einem Journalisten der
Spreezeitung
, einem sehr talentierten jungen Mann«, sagte Katharina. Voller Genugtuung registrierte sie das Aufglimmen von Eifersucht im Gesicht ihres Geliebten. »Oh, da ist er ja!«
Sie winkte in die Menge, und einen Moment später gesellte sich ein lässiger Typ in einer Secondhand-Militärjacke zu ihnen. Mit seiner dunkelblonden Mähne und den zerrissenen Jeans sah er aus wie ein Späthippie mit einer Prise Surfersex.
»Gestatten? Ralf Blumencron von der
Spreezeitung
«, stellte er sich vor. »Wie schön, dass Sie mir zu so später Stunde noch ein Interview geben, Frau Dr. Severin.«
War es Zufall oder Absicht, dass er den Minister einfach übersah?
»Immer im Dienst«, lächelte Katharina. »Ist mir ein Vergnügen.«
Evi begriff sofort. Das musste der junge, hungrige Journalist sein, der seinem Käseblatt mit einem Scoop entkommen wollte. Katharinas Partner aus dem Pressepool. Zweifelnd begutachtete sie ihn. War er wirklich der Richtige? Durfte man ihm vertrauen? Zumindest sah er unverschämt gut aus.
»Vergessen Sie nicht, dass wir noch einige Akten durchgehen müssen«, ermahnte der Minister seine Mitarbeiterin.
Schuft, dachte Evi. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, was
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