Du musst die Wahrheit sagen
angeschlossen. Die derbe, verrostete Kette und das kleine Schloss passten überhaupt nicht zueinander. Das Schloss war so jämmerlich, dass man es vermutlich mit einem normalen Hammer aufschlagen konnte, wenn man den Erlenstamm als Unterlage benutzte. Wollte man jemanden für alle Ewigkeit versenken, brauchte man ihn nur in die Kette einzuwickeln. Er würde im See versinken wie ein Stein.
Es war ein gewöhnliches Plastikboot mit einer Sitzbank im Heck und einer für den Ruderer. Ein Boot, in dem man höchstens zu dritt sitzen konnte. Am Boden schwamm ein tomatenfarbener Schöpfer im grünlichen Brackwasser. Ich schöpfte das Boot aus, schob es hinaus und vertäute es mit zwei halb verrottetenLeinen. Dann ging ich in den Keller und holte die Ruder. Die rechte Ruderdolle war kaputt, dauernd rutschte das Ruder heraus, und es war schwierig vorwärtszukommen.
Die Wasseroberfläche war so dicht mit Seerosen bedeckt, dass sich die Ruderblätter kaum eintauchen ließen. Ständig stieß ich gegen tellergroße grüne Blätter. Nach einer Weile lichtete sich der Seerosenteppich, und das Wasser war frei. Ich ruderte in östliche Richtung zum Schilfgürtel. Dort schien der See flacher zu sein, und schließlich kehrte ich um und ruderte auf die Seemitte hinaus. Es war so still, dass ich Mama telefonieren hören konnte, als säße sie direkt neben mir. Die drei Weiden auf Bergers Grundstück beugten sich über das Wasser. Einige Stockenten verließen das Ufer und schwammen zwischen den Seerosen davon, während die Dämmerung im Wald am anderen Seeufer Selbstgespräche führte.
Der Gedanke an die Schlange erfüllte mich mit Freude. Ich war überzeugt, die Oberhand zu haben.
6
Ich weiß nicht, wie lange ich im Boot sitzen blieb, aber plötzlich hörte ich eine Männerstimme. Mama lachte.
Dick Bengtsson war angekommen.
Ich legte mich in die Riemen. Bis zum Steg waren es nicht mehr als dreihundert Meter, es ging also schnell, obwohl das eine Ruder dauernd rutschte und ich es einmal fast verlor.
Ich vertäute das Boot mit beiden Leinen und ging zu der riesigen Eiche. Dort saß ein Mann in verschlissenen, verwaschenen Jeans, schwarzen Lederschuhen mit kleinen Troddeln drauf, moosgrünem kurzärmeligen Hemd und einem schmalen gepflegten Schnurrbart. Er hatte die langen Beine ausgestreckt,und neben ihm auf dem Tisch lagen ein weinroter Fahrradhelm und Mamas Portemonnaie.
»Tag, Junge!«, begrüßte mich der Gast und stand auf. Er war zehn Zentimeter größer als ich, sonnengebräunt und wirkte gut trainiert. Sein Schnurrbart war grau meliert, das Haar kurz geschnitten, dunkel und zurückgekämmt. Er sah aus, als wäre er eben einem Werbeplakat für irgendetwas entstiegen, ein Typ, der alles Mögliche mit seinem Aussehen verkaufen könnte.
»Dick Bengtsson«, stellte er sich mit einer tiefen, schönen Stimme vor.
Sein Händedruck war nicht zu fest, nicht derart, dass man denkt, er will einem die Hand zerquetschen.
»Tom«, sagte ich.
Dick Bengtsson setzte sich.
»Ihr habt es verdammt schön hier, das muss ich sagen!«
Er machte eine ausladende Handbewegung über das Grundstück, das Haus und den See. Als wäre er der neue Makler, der das Anwesen an den Mann bringen will.
»Möchte wissen, ob es Fische im See gibt«, sagte ich und setzte mich neben ihn.
Er schüttelte den Kopf.
»Höchstens Plötzen, kaum was anderes. Ich wohne da oben.«
Er beugte sich vor, spähte zwischen den Erlen hindurch und zeigte auf etwas am anderen Seeufer. Ich beugte mich ebenfalls vor und versuchte zu erkennen, auf was er zeigte.
»Früher hatte ich auch ein Haus«, fuhr er fort. »Aber nicht am See. Na, immerhin. Es war ein hübsches Grundstück. Wir hatten sogar eine Eiche, die fast genauso groß war wie die hier.«
Er zeigte auf unsere Eiche und kratzte an der Rinde rum. Dann sah er mich direkt an.
»Angelst du oft?«
»Ist schon vorgekommen.«
»Ihr seid gerade erst eingezogen?«
»Aus Sundsvall. Aber eigentlich von vielen anderen Orten. Wir sind oft umgezogen.«
»Neue Perspektiven«, sagte er. »Neue Perspektiven eröffnen neue Möglichkeiten. Hast du den Rasen gemäht?«
»Woher wissen Sie das?«
»Sieht man doch. Und dann die aufgescheuerten Stellen an deiner Hand. Da war wohl ein ungeübter Schnitter am Werk.«
Da kam Mama mit einem Tablett die Treppe herunter. Sie trug ihre Haare offen. Auf dem Tablett standen ein Krug mit Saft und vier Gläser. Sie stellte es auf den Tisch neben den Fahrradhelm. Dann ließ sie sich Dick
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