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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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die gleichen krummen Beine wie meine. In der obersten Schublade steckte ein Schlüssel, aber die Lade war nicht abgeschlossen.
    Darin lag eine mit schwarzem Stoff bezogene Tasche. Sie war ungefähr einen Meter lang, nicht besonders hoch und gut dreißig Zentimeter breit. Sie passte genau in die Schublade.
    Ohne die Schublade wieder zuzuschieben, nahm ich die Tasche heraus und brachte sie Berger.
    Er verrückte die Zither ein Stück und zeigte auf die frei gewordeneStelle. Ich legte die Tasche vor ihn hin. Er sah mich aufmerksam an.
    »Hast du hineingeschaut?«
    »Nein.«
    Er lächelte.
    »Mach sie auf.«

    9

    Ich beugte mich über die Tasche und öffnete die beiden Schnappverschlüsse an der Längsseite. Dann hob ich die Lasche an.
    In der Tasche lagen ein Gewehrkolben und der Lauf mit Schaft. Zwischen dem Kolben und dem Lauf war ein Fach für Patronen. In den zwanzig kleinen Löchern steckten zwanzig glänzende Messingpatronen.
    »Ein Salongewehr.« Berger hob den Kolben aus der Tasche und griff nach dem Lauf. Mit einer geübten Bewegung befestigte er ihn am Kolben.
    Er reichte mir das Gewehr.
    »Eine Präzisionswaffe. Aus fünfundzwanzig Metern Entfernung kann ein einigermaßen guter Schütze so genau treffen, dass die Einschusslöcher von fünf abgegebenen Schüssen mit einer Einkronenmünzen bedeckt werden können. Kannst du schießen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Hast du noch nie eine Waffe in der Hand gehalten?«
    »Mein Bruder hatte mal ein Luftgewehr. Damit habe ich geschossen.«
    »Hast du getroffen?«
    »Ja.«
    »Ausgezeichnet.« Berger sah zufrieden aus. »Mit dieser Waffe kann man kleine Tiere töten. Es ist schon vorgekommen, dass Wilddiebe mit ähnlichen Waffen Rehe gejagt haben, aber für Rehe interessieren wir beide uns nicht.«
    Ich stand da mit dem Gewehr und sah ihn fragend an.
    »Es ist nicht geladen. Du kannst es wieder ablegen, wenn du willst. Setz dich.«
    Ich legte das Gewehr auf den Tisch neben die Tasche und setzte mich wieder in den Lehnsessel.
    »Schau«, sagte Berger und beugte sich noch ein bisschen mehr vor, als wollte er mir ganz nah kommen, »ich habe Probleme. Mit Katzen. Hier draußen gibt es viele Wildkatzen. Im Lauf der Jahre habe ich eine beträchtliche Anzahl geschossen. Sie liegen alle unter den Weiden begraben. Die schwarzen unter der linken, die grau getigerten unter der rechten. Unter der mittleren Weide habe ich die weißen begraben und die einzige rot gestreifte.«
    Er nahm die Brille ab und wiederholte die Putzprozedur. Dann setzte er die Brille wieder auf und beugte sich erneut zu mir.
    »Ich kann nicht mehr gut sehen, und meine Hände zittern zu sehr. Deshalb kann ich keine Wildkatzen mehr schießen. Aber du, Tom, scheinst ein tüchtiger Kerl zu sein.«
    Er lehnte sich noch ein wenig mehr zu mir herüber.
    »In diesem Sommer hat sich hier eine grau getigerte Katze herumgetrieben. Die Schwalbenjungen hat sie zwar nicht erwischt, aber es war knapp. Eine Weile waren meine Grauschnäpper in Gefahr. Jetzt ist sie hinter den Bachstelzen her. Seit letzter Woche habe ich sie nicht mehr gesehen, aber sie taucht bestimmt wieder auf, und dann wollen wir sie überraschen, du und ich, Tom. Dann wartest du auf sie und jagst ihr eine Bleikugel ins Tigerherz und schickst sie in die ewigen Jagdgründe.«
    Berger warf sich mit einem Lächeln zurück ins Kissen und sah so zufrieden aus, als würde die Katzenleiche schon auf dem Tisch zwischen uns liegen.
    Mir hatte es auf der Zunge gelegen, ihm zu erzählen, dass die Katze mit dem Tigerherzen, von einer Schlange gebissen, auf einem blauen Handtuch in unserer Küche lag, aber ich war neugierig, wie es weitergehen würde, also schwieg ich.
    »Geh in den Keller und hol eine Farbdose!«, kommandierte der Alte.
    »Was für eine Farbe?« Ich hatte noch nicht begriffen, was er vorhatte.
    Er lächelte hinterlistig.
    »Spielt keine Rolle. Nimm eine Literdose und stell sie zwischen die hinterste Weide und den letzten Apfelbaum. Nimm eine, die fast leer ist.«
    Ich ging in den Keller und fand eine Dose, die einmal schwarze Farbe enthalten hatte. Nach dem Gewicht zu urteilen, schien sie ganz leer zu sein.
    Ich stellte sie an die von dem Alten angegebene Stelle und ging wieder ins Haus.
    Berger zeigte auf das mittlere Fenster, das auf den See hinausging.
    »Mach’s auf.«
    Das Fenster war mit zwei Haken verschlossen, die sich nur schwer öffnen ließen.
    »Wie viele Meter sind es bis zur Dose?«
    »Zwanzig«, riet ich.
    »Ausgezeichnet!«
    Er beugte sich

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