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Du oder das ganze Leben

Titel: Du oder das ganze Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Elkeles
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Augenbrauen meines Dads ziehen sich zusammen, als müsse er darum kämpfen, die Beherrschung nicht zu verlieren. »Wir verlangen doch gar nicht, dass du perfekt bist. Patricia, sag ihr bitte, wie du darüber denkst.«
    Meine Mom schüttelt den Kopf, als könne sie nicht nachvollziehen, warum ich so eine große Sache daraus mache. »Brit, das geht jetzt schon viel zu lange so. Hör auf zu schmollen, hör auf zu rebellieren und hör um Himmels willen damit auf, so selbstsüchtig zu sein. Dein Vater und ich erwarten nicht von dir, dass du perfekt bist. Wir erwarten, dass du im Rahmen deiner Möglichkeiten dein Bestes gibst, das ist alles.«
    »Weil Shelley, egal wie sehr sie es auch versucht, euren Erwartungen nie gerecht werden kann?«
    »Lass Shelley aus dem Spiel«, schaltet sich mein Vater ein. »Das ist nicht fair.«
    »Warum nicht? Hier geht es im Grunde genommen doch
um sie.« Ich bin am Ende meiner Kräfte und fühle mich vollkommen unverstanden. So als würden die Worte, die aus meinem Mund strömen, sowieso nie bei ihnen ankommen. Ich lasse mich auf einen der mit Samt gepolsterten Stühle vor ihnen fallen. »Um das mal klarzustellen: Ich bin nicht weggelaufen. Ich bin nur bei meiner besten Freundin eingezogen.«
    Meine Mom wischt eine Fluse von ihrem Oberschenkel. »Gott sei Dank gibt es Sierra. Sie hat uns auf dem Laufenden gehalten und uns täglich Bericht erstattet.«
    Ich sehe meine beste Freundin an, die immer noch auf der Wohnzimmercouch sitzt und Zeugin der Ellis-Familienkrise wird. Sierra hebt schuldbewusst die Hände, dann eilt sie zur Haustür, um Süßigkeiten an ein paar Kinder zu verteilen, die gerade an der Tür geklingelt haben und lauthals »Süßes oder Saures!«, brüllen.
    Meine Mom sitzt kerzengrade auf der Sofakante. »Was müssen wir tun, damit du nach Hause kommst?«
    Ich wünsche mir so vieles von meinen Eltern, wahrscheinlich viel mehr, als sie mir je geben können. »Ich weiß es nicht.«
    Mein Dad stützt die Stirn in die Hand, als hätte er Kopfschmerzen. »Ist es so schlimm zu Hause?«
    »Ja. Na ja, nicht schlimm, aber stressig. Mom, du stresst mich total. Und Dad, ich hasse es, dass du kommst und gehst, als sei unser Zuhause ein Hotel. Wir leben als Fremde in diesem Haus nebeneinander her. Ich liebe euch beide, aber ich will nicht ständig ›das Beste geben, das ich im Rahmen meiner Möglichkeiten leisten kann‹. Ich möchte einfach nur ich selbst sein dürfen. Ich möchte die Freiheit, meine eigenen Entscheidungen zu treffen und aus meinen Fehlern zu lernen, ohne deswegen gleich Herzrasen zu bekommen oder mich schuldig zu fühlen oder mir Sorgen darum machen zu müssen, dass ich eure Erwartungen nicht erfülle.« Ich schlucke meine Tränen hinunter.
»Ich möchte euch nicht enttäuschen. Ich weiß, Shelley kann niemals so sein wie ich. Es tut mir so leid … bitte schickt sie nicht weg wegen mir.«
    Mein Dad kniet sich vor mich hin. »Es gibt nichts, was dir leid tun müsste, Brit, wir schicken sie doch nicht wegen dir weg. Shelleys Behinderung ist nicht deine Schuld. Niemand ist daran schuld.«
    Meine Mom sitzt vollkommen ruhig und unbewegt da. Sie starrt die Wand an, als sei sie in Trance. »Es ist meine Schuld«, sagt sie dann.
    Damit hat sie schlagartig unsere Aufmerksamkeit, denn das sind so ziemlich die letzten Worte, die wir aus ihrem Mund erwartet hätten.
    »Patricia?«, sagt mein Dad und versucht, ihren Blick einzufangen.
    »Mom, wovon redest du?«, frage ich.
    Sie blickt weiter starr geradeaus. »All diese Jahre habe ich mir die Schuld gegeben.«
    »Patricia, es ist nicht deine Schuld.«
    »Nachdem ich Shelley bekommen hatte, bin ich mit ihr zu Spielgruppen gegangen«, sagt meine Mom so leise, als spräche sie mit sich selbst. »Ich gebe zu, ich habe die anderen Mütter um ihre normalen Kinder beneidet, die ganz allein den Kopf heben und nach Dingen greifen konnten. Die meiste Zeit sahen die anderen Mütter mich mitleidig an. Das habe ich gehasst. Ich wurde wie besessen von dem Gedanken, dass ich ihre Behinderung hätte verhindern können, wenn ich während der Schwangerschaft mehr Gemüse gegessen und mehr Sport getrieben hätte. Ich gab mir die Schuld an ihrer Behinderung, auch als dein Vater immer wieder beteuerte, dass ich dafür nicht verantwortlich sei.« Sie sieht mich an und lächelt wehmütig. »Dann kamst du. Meine blonde, blauäugige Prinzessin.«

    »Mom, ich bin keine Prinzessin und Shelley ist niemand, mit dem man Mitleid haben müsste. Ich werde mich

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