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Du oder der Rest der Welt

Du oder der Rest der Welt

Titel: Du oder der Rest der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Elkeles
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den Geruch ein. Sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass er ihn an zu Hause erinnert.
    »Man nennt es carne guisada . Es ist mexikanisch.« Ich spreche die Worte betont langsam, als hätte er noch nie davon gehört.
    »Ich weiß, was es ist, Klugscheißer.« Er setzt den Deckel zurück auf den Topf, dann deckt er den Tisch und geht wieder an seinen Schreibtisch, um zu lernen.
    Als wir uns eine Stunde später zum Essen setzen, beobachte ich, wie mein Bruder seine erste Portion im Nu verschlingt und sich nachnimmt.
    »Du hast wohl lange nichts mehr gegessen?«
    »Nichts, was so gut wie das hier geschmeckt hätte.« Alex leckt seine Gabel ab. »Ich wusste gar nicht, dass du kochen kannst.«
    »Es gibt eine Menge Dinge, die du nicht über mich weißt.«
    »Früher war das anders.«
    Ich schiebe das Essen mit meiner Gabel auf dem Teller hin und her. Plötzlich bin ich nicht mehr hungrig. »Das ist lange her.« Ich halte den Blick auf mein Essen gesenkt. Mein Bruder ist wie ein Fremder für mich. Nachdem er angeschossen wurde, hatte ich Angst, mit ihm darüber zu reden, schätze ich. Als würde es dadurch erst real. Alex hat nie erzählt, was genau passiert ist, als er aus der Latino Blood ausgestiegen ist, und ich habe nie gefragt. Aber gestern Morgen habe ich eine Ahnung davon bekommen. »Ich habe gestern deine Narben gesehen, als du aus der Dusche gekommen bist.«
    Er hört auf zu kauen und lässt die Gabel sinken. »Ich dachte, du schläfst noch.«
    »Hab ich nicht.« Der Anblick seines mit Narben übersäten Rückens, die das Resultat von üblen Peitschenhieben zu sein scheinen, ist für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Als ich die Wulst zwischen seinen Schulterblättern bemerkt habe, wo ihm die Buchstaben LB in die Haut gebrannt wurden, wie einem Stück Vieh, haben sich mir vor Hass, Wut und Rachsucht die Haare gesträubt.
    »Vergiss es einfach«, sagt Alex.
    »Das wird nicht passieren.« Alex ist nicht der einzige Fuentes-Bruder, der einen starken Beschützerinstinkt für seine Familie empfindet. Wenn ich je nach Chicago zurückkehre und den Arsch finde, der für das Branding von Alex’ Körper verantwortlich ist, ist er ein toter Mann. Ich mag gegen meine Familie rebellieren, aber Blut ist immer noch dicker als Wasser.
    Alex ist nicht der Einzige mit Narben. Ich habe mehr Kämpfe ausgefochten als ein Profiboxer. Mal abgesehen von meinen Narben … wenn Alex wüsste, dass die Tattoos auf meinem Rücken mich als Guerrero kennzeichnen, würde er den totalen Ausraster kriegen. Ich bin zwar jetzt bei ihm in Colorado, aber ich gehöre immer noch zu ihnen.
    »Brittany und ich gehen gleich ihre Schwester Shelley besuchen. Willst du mitkommen?«
    Ich weiß, dass Brittanys Schwester behindert ist und in einem Heim in der Nähe der Uni lebt. »Ich kann nicht. Ich bin verabredet«, erwidere ich.
    »Mit wem?«
    »Papá ist tot und mamá weit weg. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.«
    Alex und ich starren uns kampflustig an. Früher konnte er mir eine Abreibung verpassen, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Aber diese Zeiten sind vorbei. Wir sind kurz davor, es auf ein Kämpfchen ankommen zu lassen, als die Tür aufgeht und Brittany hereinspaziert.
    Anscheinend fällt ihr auf, dass die Stimmung gereizt ist, denn ihr Lächeln wird schwächer, als sie den Tisch erreicht. Sie legt Alex eine Hand auf die Schulter. »Alles okay?«
    »Alles perfecto . Hab ich recht, Alex?«, sage ich, dann nehme ich meinen Teller und suche mir meinen Weg um sie herum in die Küche.
    »Nein. Ich habe ihm eine einfache Frage gestellt, und er ist nicht in der Lage, sie mir zu beantworten«, antwortet Alex.
    Ich krieg die Krise – das ist echt ein Satz, der nur aus dem Mund eines Elternteils kommen sollte. Ich seufze frustriert auf. »Ich gehe nur auf eine Party, Alex. Es ist schließlich nicht so, als hätte ich vor, jemanden umzubringen.«
    »Eine Party?«, fragt Brittany.
    »Genau. Schon mal von dem Konzept gehört?«
    »Das habe ich tatsächlich. Und ich weiß auch, was auf Partys so passiert.« Sie setzt sich neben Alex. »Wir sind auch auf Partys gegangen, als wir auf der Highschool waren, und haben aus unseren Fehlern gelernt, so wie er aus seinen lernen wird. Du kannst ihm nicht verbieten, auszugehen«, sagt Brittany zu meinem Bruder.
    Alex zeigt anklagend mit dem Finger auf mich. »Du hättest diese Mädchen sehen sollen, mit denen er letztens angekommen ist, Brittany. Sie waren eindeutig in der gleichen Liga wie diese Psychoschnepfe

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