Du oder der Rest der Welt
hat eine neue Waffe. Wenn er dir zuwinkt, bist du tot. Also achte darauf, seine Hände nicht anzugucken.«
»Okay!«, sagt Brandon aufgeregt. Er erinnert mich an meinen kleinen Bruder Luis, der sich über die kleinsten Dinge freuen kann.
Als ich an Luis denke, muss ich auch an Mamá denken und wie selten ich sie in den letzten Jahren habe lächeln sehen. So sehr ich auch den Rebellen raushängen lasse, ich würde alles tun, damit sie wieder lächelt.
28
Kiara
Ich sehe vom Flur aus zu, wie Carlos und mein Bruder mit den Spielzeugsoldaten spielen. Carlos hat Brandons T-Shirts kunstvoll zu Tunneln verbaut. Sie werden von Schnüren gehalten. Das eine Ende hat er am Fenstergriff befestigt und das andere am Griff des Kleiderschranks.
Seiner entspannten Miene nach zu urteilen hat Carlos fast genauso viel Spaß dabei wie Brandon. Darauf wette ich.
Mein Mom reibt meinen Rücken. »Geht es dir gut?«, formt sie mit den Lippen.
Ich nicke.
»Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Mir geht’s gut.« Ich denke an den Nachmittag zurück, als ich mit Brandon und Carlos im Garten gespielt habe. Ich muss zugeben, dass ich auch Spaß daran hatte. Ich umarme sie fest. »Mehr als gut.«
»Sie scheinen Spaß zu haben«, sagt sie und nickt in Richtung Kriegsschauplatz in Brandons Zimmer. »Meinst du, Carlos gewöhnt sich allmählich an den Gedanken, bei uns zu leben?«
»Vielleicht.«
»Die fünf Minuten sind schon lange vorbei«, höre ich Carlos sagen.
Meine Mum eilt in den Raum und hebt Brandon hoch, bevor er etwas erwidern kann, um Brandons übliche Verhandlungstaktik im Keim zu ersticken. »Zeit fürs Bett, Brandon. Du hast morgen Schule.« Nachdem sie ihn zugedeckt hat, sagt sie: »Du hast doch deine Zähne geputzt, oder?«
»Yep«, sagt mein Bruder nickend. Wie mir auffällt, presst er die Lippen fest zusammen, als er nickt. Ich schätze, seine Antwort entspricht nicht ganz der Wahrheit.
»Gute Nacht, Racer«, sagt Carlos und folgt meiner Mutter aus dem Zimmer.
»Gute Nacht, Guerrero . Kiara, wo Carlos mir keine Geschichte erzählen will, singst du mir was vor? Oder spielst das Buchstabenspiel mit mir? Bitte«, bettelt mein kleiner Bruder.
»Was davon soll es sein?«, frage ich.
»Das Buchstabenspiel.« Mein Bruder setzt sich mit dem Rücken zu mir auf und hebt sein T-Shirt hoch.
Ich habe dieses Spiel mit ihm gespielt, seit er drei ist. Mit meinem Finger zeichne ich einen Buchstaben auf seinen Rücken. Er muss raten, welcher es ist.
»A«, sagt er stolz.
Ich male einen anderen.
»H!«
Und noch einen.
»D … nein, B! Hab ich recht?«
»Ja«, bestätige ich, dann sage ich: »Okay, einen noch. Dann ist Schlafenszeit.« Ich male einen weiteren Buchstaben.
»Z!«
»Richtig.« Ich gebe ihm einen Kuss auf die Stirn und decke ihn wieder zu. »Ich hab dich lieb«, sage ich.
»Ich hab dich auch lieb. Kiara?«
»Ja?«
»Sag Carlos, dass ich ihn auch lieb habe. Ich habe vergessen, es ihm zu sagen.«
»Das mache ich. Jetzt schlaf schön.«
Carlos lehnt im Flur an der Wand. Meine Mom ist verschwunden, wahrscheinlich guckt sie im Wohnzimmer Fernsehen mit meinem Vater.
»Ich habe gehört, was er gesagt hat, du brauchst es mir also nicht auszurichten«, sagt Carlos. Seine übliche, großspurige Art hat er abgelegt. Er wirkt verletzlich, als hätten Brandons Worte eine Barriere in ihm niedergerissen, mit der er sich vor Gefühlen geschützt hat. Ich bekomme eine Ahnung, wie Carlos in Wahrheit ist.
»Okay.« Ich sehe meine Schuhe an, weil ich ihm nicht in die Augen schauen kann. Echt nicht. Sein Blick ist im Moment zu intensiv und hypnotisiert mich geradezu. »Danke noch mal, du weißt schon, dass du mit meinen Bruder gespielt hast. Er hat dich wirklich gern.«
»Das liegt daran, dass er mich nicht wirklich kennt.«
29
Carlos
Bevor der Unterricht beginnt, gehe ich hinter die Footballtribüne zu Nick. Klar, dass er gerade einen Joint raucht.
Er sieht eine Sekunde lang panisch aus, dann gelingt es ihm, seine Angst mit einem Lächeln zu maskieren. »Hey, Mann, was geht? Ich hab gehört, du bist letzte Woche hochgenommen worden. Das ist Scheiße.« Er hält mir den Joint hin. »Willst du einen Zug?«
Ich packe ihn am Kragen und stoße ihn gegen ein Metallgitter. »Warum hast du mir das angehängt?«
»Du spinnst doch! Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagt er. »Warum hätte ich dir was anhängen sollen?«
Ich schlage ihn ins Gesicht und er geht zu Boden. »Erinnerst du dich jetzt?«
»Au,
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