Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
es möglich, dass sie so lange geschlafen hatte und nun als bibberndes Wrack hier hockte und von Bildern verfolgt wurde, die aus ihrem Gedächtnis zu löschen sie seit Jahren verzweifelt versuchte? Was sie jetzt wollte, war Kontakt zur Außenwelt. Sie wollte vertraute Stimmen hören, wollte bei der Arbeit anrufen und sich für ihr Fehlen entschuldigen.
»Kann ich mal dein Handy haben?«
Er zögerte. »Wen willst du anrufen?«
Sein inquisitorischer Ton war absolut fehl am Platz.
»Ist das wichtig?« Sie ging leicht hoch und konnte auch jetzt nicht verbergen, wie sauer sie war.
»Na ja … ich kann den Akku hier nicht aufladen, deshalb mache ich, solange ich hier bin, nur die allernötigsten Anrufe.« Er griff in die Hosentasche und holte das Handy hervor. »Aber natürlich kannst du es haben. Hier.«
Nicky sah die kleine schwarze Rettungsleine und schämte sich plötzlich. Dieser Mann hatte ihr vor gerade mal einer Woche das Leben gerettet, war in den Fluss gesprungen und hatte Kopf und Kragen riskiert, um ihr zu helfen. Er hatte sie in sein Haus mitgenommen und einen ganzen Abend allein dagesessen, während sie ihren Rotweinrausch ausschlief.
Sie rief schnell Maria an, doch die war nicht da. Nicky hinterließ eine Nachricht, erklärte, dass sie krank sei, am nächsten Tag aber wiederkommen werde.
»Wenn du krank bist, kann ich mich um dich kümmern.«
Sie schaute ihn an. Er stand in der offenen Toilettentür. Er war so groß, dass sie von der Diele hinter ihm nichts sah.
18
I ch will aber nicht, dass du fährst!« Adam gab den Schmollenden und versuchte spielerisch, ihr die Handtasche wegzunehmen.
Sie war auf dem Weg zum Auto. Schon wurden die Schatten auf dem Rasen länger. Es war ein heißer Tag.
»Du weißt, dass es nicht anders geht.« Ihre Schultern, die auf Adams Terrasse reichlich Sonne abbekommen hatten, glühten. Die düsteren Ahnungen, was ihren Tiefschlaf anging, hatten sich verzogen, aber es baute sich erneut eine erotische Spannung auf, und sie wusste, dass sie von hier verschwinden musste. Sie wollte keine Affäre. Sie wollte Greg nicht mehr belügen. Es war Zeit, zu gehen.
Sie öffnete die Wagentür und drehte sich noch einmal zu Adam um. Er trug ein enges blassblaues T-Shirt, in dem seine Bräune besonders zur Geltung kam.
Wahrscheinlich werde ich nie mehr im Leben ein so schönes Geschöpf küssen, dachte sie. Und in einem letzten Anflug von Euphorie – wie die eines halbherzigen Partygasts, der weiß, dass er gleich gehen kann – streckte sie die Hand nach ihm aus und gab ihm zum Abschied einen Kuss.
Es war ein Fehler. Er küsste viel besser, als sie vorausgesehen hatte. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich. Sie nahm das nicht ernst, sie dachte, er ist so jung und so schön, ihm bedeutet das nichts, ich kann ihm gar nicht weh tun. Er aber war ganz bei der Sache, und sie benahm sich wie ein Kind.
Sie riss sich los und stieg ein. Startete den Motor und klappte per Knopfdruck das Verdeck ein. Sie spürte, wie sie rot anlief. Spürte, dass Adam sie nicht aus den Augen ließ. Plötzlich wollte sie nur noch weg. Sie spielte hier mit dem Feuer und wusste, sie würde sich verbrennen.
Ohne sich noch einmal umzuschauen, legte sie den Rückwärtsgang ein, wendete und rollte die Auffahrt hinunter. Gleich würde sie weg sein aus diesem Haus. Die Scham darüber, dass sie sich Adam gegenüber so manipulativ verhalten hatte, würde nachlassen, sie würde sich nicht mehr schuldig fühlen müssen, weil sie ihre Ehe auf die Probe stellte. Sie wollte beschleunigen, doch etwas stimmte nicht. Der Wagen lag leicht schräg und zog zur Seite. Sie hielt an, stieg aus – und sah, dass ein Vorderrad platt war.
»Ist was nicht in Ordnung?«
Sie hörte seine Schritte auf dem Kies. Statt zu antworten, hockte sie sich hin und untersuchte den Reifen, tastete das Profil ab.
»Platten?« Seine Stimme war über ihr, sein Schatten fiel direkt auf sie.
Ohne hinschauen zu müssen, fand sie den langen Schlitz im Gummi. Das war weder ein Nagel gewesen noch eine Glasscherbe. Mit kühler Entschlossenheit richtete sie sich auf und öffnete die Kofferhaube. Sie war wütend, hielt es aber für besser, das nicht zu zeigen. Es erschien ihr wichtig, Haltung zu wahren. Doch unter der Oberfläche ihrer Gefasstheit regte sich etwas ganz anderes: Angst.
Sie zog die Schutzhülle vom Ersatzrad. Mit Autos kannte sie sich aus. Sie war keine Pfeife, die die Pannenhilfe rufen musste, wenn sie einen Platten hatte. In
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