Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
sie Nick wegen der Leiche in der Themse anrufen. Vielleicht kannte die Polizei inzwischen den Namen der Toten und die Todesursache. Cynthia blätterte in ihrem eselsohrigen Adressbuch, bis sie zu der Seite kam, die mit »Polizei« überschrieben war. Ganz oben stand Detective Chief Inspector Nick Robertson. Cynthia und Nick hatten sich an der Universität kennengelernt. Sie studierte damals englische Literatur und er Kriminalpsychologie. Sie hatten unzählige feuchtfröhliche Abende miteinander verbracht und einen betrunkenen Kuss ausgetauscht. Aber in erster Linie waren sie einfach nur gute Freunde, was ihr jetzt, wo sie als Journalistin arbeitete, gut zupasskam.
Nick ging gleich nach dem ersten Klingeln dran. »Ah, Cynthia. Bestimmt willst du hören, wie mein Urlaub war. Mich fragen, ob ich mich gut erholt und ein paar gute Bücher gelesen habe. Falls nicht, kann ich mir nur vorstellen,dass du mehr über die Leiche wissen willst, die Polizeitaucher gestern Nacht aus der Themse gezogen haben.«
»Du kennst mich, Nick, ich interessiere mich nur für die wirklich lustigen Dinge im Leben.«
Er lachte, und sie stellte sich vor, wie er sich am anderen Ende der Leitung, aschblond und urlaubsgebräunt, in seinem Sessel zurücklehnte und die Füße auf den Tisch legte.
»Natürlich kann ich zu laufenden Ermittlungen nicht Stellung nehmen. Was wirklich zu schade ist, denn du wärst sicher erfreut zu hören, dass es sich möglicherweise um Mord handelt.«
»Hurra!«, rief Cynthia.
»Ihre Familie wird in den nächsten Stunden aus dem Urlaub zurückkommen, also darf bitte nichts gedruckt werden, bevor wir mit den Angehörigen gesprochen haben. Aber während du wartest, würdest du deine Zeit nicht unbedingt verschwenden, wenn du dich mit dem Namen Lisa Reed befasst. Wie du bestimmt schnell herausfinden wirst, handelt es sich dabei um eine siebenundzwanzigjährige Studentin.«
Cynthia notierte sich die Angaben, bevor sie fragte: »Hast du irgendeine Ahnung, wer sie tot sehen wollte?«
»Leider nein. Es gibt keine wütenden Exfreunde, keine Unterweltkontakte und auch keine geistesgestörten Verwandten, die im Westflügel ihres sturmumtosten Herrenhauses eingesperrt sind. Wobei ich mit ›sturmumtostes Herrenhaus‹ natürlich ein Zweizimmerapartment in Muswell Hill meine.«
Sie kritzelte es auf ihren Block und fragte dann: »War da irgendwas mit ihrem … Hinterkopf nicht in Ordnung? Eine Verletzung vielleicht?«
»Nein, nichts dergleichen, warum?« Nick klang verwirrt.
»Ach, nur so, ich habe da zufällig was mit angehört. Könnte es sein, dass dieser Fall besonders besorgniserregend ist?«
»Alle Morde sind besorgniserregend«, sagte er kurz angebunden. Sie brauchte sein Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, dass es verschlossen und argwöhnisch geworden war. Es knisterte in der Leitung, so gespannt war die Atmosphäre.
»Stimmt«, sagte sie vorsichtig. »Aber ich dachte, es gäbe Hinweise darauf, dass dieser Fall besonders besor-«
Als er ihr ins Wort fiel, war seine Stimme so kalt, wie sie sie noch nie gehört hatte. »Hör mal, Cynthia, wenn du konkrete Fragen an mich hast, bin ich gern bereit, sie dir zu beantworten. Aber wenn du dich bloß wiederholst, muss ich das Gespräch beenden.«
Sie blinzelte verblüfft und fand einen Moment keine Worte. Die Stille dauerte an, während sie auf eine Entschuldigung wartete, die nicht kam. Als sie schließlich wieder etwas sagte, war sie mit ihrer Geduld am Ende. »Nick, würdest du mir bitte verraten, was hier eigentlich los ist? Und warum du so auf mich losgehst?«
»Gar nichts ist los«, sagte er hastig. Eine Pause, dann ein langsames Ausatmen. »Ich wollte nicht ungeduldig werden, ich habe einfach … im Moment viel zu tun. Wenn du also keine weiteren Fragen hast …«
»Und ob ich die habe!«, sagte Cynthia gereizt. »Ich will …« Dann verstummte sie und beherrschte sich. Nick war äußerst unhöflich gewesen, aber das hieß noch lange nicht, dass sie es ihm gleichtun musste. Sie räusperte sich, bevor sie weitersprach, und bemühte sich um einen professionellen Ton. »Kannst du mir sagen, wie lange sie schon im Wasser lag?«
»Zwei oder drei Tage.« Er klang inzwischen eher wie ein Polizeipressesprecher als wie ein alter Freund. So steif und offiziell. »Das passt zu den Angaben, wann sie zuletzt gesehen wurde. Sie sollte eigentlich das Haus ihrer Familie in Westlondon hüten, während die im Urlaub war, die Katzefüttern und so. Am Samstagabend war sie noch
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