lange mit Freunden weg, die sie bis zu ihrer Straße begleitet haben. Aber aus irgendeinem Grund ist sie am anderen Ende der Stadt als Leiche wieder aufgetaucht.«
»Kann sie nicht einfach in den Fluss gefallen und ertrunken sein?«
»Nein. Ihre Lunge war leer, sie hatte also bereits aufgehört zu atmen, bevor sie ins Wasser fiel.«
»Was ist mit DNA-Spuren?«
»Die Spurensicherung untersucht noch ihre Kleidung, aber ich mache mir diesbezüglich keine großen Hoffnungen. Flüsse haben die unangenehme Angewohnheit, Hautpartikel und Haare wegzuwaschen. Aber in einem Punkt hatten wir Glück: Hätte sie sich nicht in der Schleuse verfangen, wäre ihre Leiche vielleicht nie gefunden worden.«
Cynthias Stift sauste über das Blatt. Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Wie sah sie aus? Gibt es ein Bild, das ich verwenden kann?«
Nick schnalzte tadelnd mit der Zunge, und sein Ton wurde freundlicher. »Es wäre nicht fair, nur einer Journalistin so ein Foto zu überlassen, während alle andern auf die offizielle Presseerklärung warten müssen. Aber ich verlasse mich da ganz auf deine Fähigkeiten. Eine Topreporterin wie du weiß doch, wie sie sich einen Vorsprung verschaffen kann.«
In diesem Moment piepte ihr Computer und teilte ihr mit, dass eine E-Mail eingegangen war. Sie kam von
[email protected]. Ein Foto war angehängt. Sie lächelte erleichtert. Die frostige Stimmung schien verflogen zu sein. »Kannst du mir irgendwas zur Todesursache sagen?«
»Strangulation kann ich dir jedenfalls nicht bestätigen. Du darfst wirklich keine voreiligen Schlüsse ziehen, Cynthia, und Verdachtsmomente zitieren, die sich erst noch erhärten müssen. Diese Male am Hals des Opfers könnenauch auf andere Art verursacht worden sein. Es wäre falsch, etwas anderes zu behaupten.«
Sie gluckste. »Nick, du bist der Größte! Ich schulde dir einen Drink, oder eher ein halbes Dutzend. Und verlass dich drauf: Wenn ich das nächste Mal über eine aufgedunsene, verweste Leiche stolpere, werde ich liebevoll lächeln und an dich denken.«
»Ja, das sagen die Frauen immer.«
Die Geschichte beschäftigte Cynthia bis Mitternacht. Anschließend wurde sie mit einem Fotografen in die eisige Kälte hinausgeschickt, um verdeckt zu ermitteln, wie es in der Gegend mit Drogenhandel aussah. Der Auftrag bestand darin, immer wieder über die Brücke über das Camden Lock zu gehen und zu zählen, wie viele Dealer ihnen Drogen anboten. Eine Idee des Nachtredakteurs, die Cynthia ziemlich schwach fand, aber sie war zu müde, um sich lange herumzustreiten.
Zurück im Büro gab sie sich Mühe, ihre Erkenntnisse mit dem gebotenen Ton der Empörung zu formulieren. Aber schließlich musste sie die verdammte Brücke auf ihrem Weg zur Arbeit täglich überqueren, und die Worte »Hey, Süße … Hasch? Speed? Koks?« gehörten genauso zu ihrem Alltag wie Zahnpasta und Seife.
Als sie endlich fertig war, war es beinahe fünf. Kaum hatte sie die Geschichte abgegeben, wurde sie von der Erschöpfung wie von einer dunklen Wolke verschluckt. Sie nippte an ihrem lauwarmen Kaffee und überlegte, womit sie sich während der restlichen drei Stunden beschäftigen konnte. Ein Exemplar der Abendausgabe lag ungelesen auf ihrem Schreibtisch. Sie schlug sie weiter hinten auf und überflog die Überschriften, um zu sehen, ob ihr »China-Phobie«-Artikel noch mal gebracht worden war. Ja, da war er, auf Seite zehn: » Großbritannien in Angst vor Chinas wachsender Macht «.
Cynthia blätterte die restliche Zeitung durch, in der Hoffnung, auf eine Geschichte zu stoßen, die sie weiterverfolgen konnte. Auf Seite fünf hielt sie inne. Die Überschrift lautete: » Gewerkschaftsführer erklären ›dringenden Gesprächsbedarf‹ wegen unbezahlter Überstunden. « In der Autorenzeile darunter stand: Marcus Grimsby . Cynthia starrte stirnrunzelnd auf den Namen. Woher hatte er diese Geschichte? Die hatte sich doch wohl kaum mitten in der Nacht zugetragen? Sie überflog die ersten Zeilen.
»Gewerkschaftsführer fordern, dass die Regierung sofort etwas gegen die sogenannte »Überstundenepidemie« unternimmt. Neue Zahlen belegen, dass britische Arbeitnehmer im Durchschnitt etwa neun unbezahlte Überstunden pro Woche leisten, ein bisher unerreichter Rekord. Auf der Pressekonferenz heute Nachmittag gaben Gewerkschaftsführer dem Arbeitskräftemangel die Schuld und verlangten eine Dringlichkeitssitzung …«
Cynthias Blick blieb an dem » heute Nachmittag « hängen. Marcus hatte