Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
krampfhaft nach einer Antwort, nach einem coolen Spruch wie in den James-Bond-Filmen.Aber als ich den Mund aufmachte, kam die schlichte Wahrheit heraus. »Ich mag dich wirklich sehr, Katrina. Mehr als jeden anderen Menschen.«
Gleich darauf fühlte ich mich nackt. Ich wartete auf ihre Reaktion, voller Angst, dass sie sich über mich lustig machen würde. Oder sagen, wir könnten doch einfach gute Freunde sein, was bekanntlich bedeutet, dass eine Frau nicht auf dich steht. Aber stattdessen geschah etwas Seltsames: Katrina fielen die Augen zu, und sie kippte vornüber. Und zwar ganz plötzlich, wie eine Marionette, deren Fäden man durchtrennt hat.
»Katrina?«, flüsterte ich und stupste sie leicht an, sodass ihr Kopf auf die Seite rollte. Sie lag einfach nur da, die Wange auf dem Papierset. Aber ich wusste, dass sie noch lebte, weil ich ihren Atem hören konnte.
Was hatte das zu bedeuten? Waren ihre Tränen nur ein Trick, um mich aus der Reserve zu locken und mir anschließend wehzutun? So wie Ma, wenn sie die Arme ausbreitete und sagte, »Komm, mein Junge, drück mich mal!«, um mir dann eine Kopfnuss zu verpassen und mich zu verfluchen, wenn ich in ihre Nähe kam. Von Katrina könnte ich so etwas nicht ertragen. Ich überlegte, ob ich mich aus dem Staub machen sollte, bevor sie die Augen aufmachte. Bevor sie mir wehtat. Aber ich konnte mich nicht rühren. Ich war wie gelähmt. Also blieb ich sitzen, während die Minuten zäh vorbeiflossen, und wusste nicht, was ich tun sollte. Mein ganzes nutzloses Leben verengte sich auf diesen Moment. Ich war wirklich überzeugt, dass ich sterben würde, wenn sie sich jetzt aufsetzte und mich auslachte. Der Himmel wurde immer dunkler, sodass ich sehen konnte, wie sich die Baumlichter auf dem Wasser spiegelten, klar und deutlich wie Sterne. Dann fuhr ein Boot vorbei, und sie verschwanden in den Wellen.
Katrina gab ein leises Seufzen von sich und hob den Kopf.Ich fuhr hoch und schnappte nach Luft. Ich wartete auf das, was sie mir antun würde. Mein Magen spielte dermaßen verrückt, dass ich befürchtete, mich übergeben zu müssen, solche Angst hatte ich.
Sie sah sich blinzelnd um. »Es tut mir so leid!«, sagte sie. »Wie lange war ich weg?«
Ich sah auf die Uhr, obwohl ich die Antwort schon wusste. »Zweiundzwanzig Minuten.« Ich tat so, als würde ich auf einen Fleck auf dem Tischtuch starren und zupfte daran herum. »Ich fürchte … dir hat nicht gefallen, was ich vorhin gesagt habe.«
Dann geschah etwas ganz Unglaubliches: Katrina beugte sich vor und küsste mich mitten auf den Mund. »Nein«, sagte sie mit fester Stimme. »Das lag nicht an dir. Ich habe … ein medizinisches Problem.« Sie lächelte ein bisschen schüchtern. »Es kann durch starke Gefühle ausgelöst werden.« Dann legte sie ihre Hand so auf meinen Handrücken, dass jeder ihrer Finger in den Zwischenräumen zwischen meinen zu liegen kam. Es passte perfekt.
Zehn Kilometer: So weit lagen Leben und Tod auseinander. Cynthias Augen flogen zwischen den beiden roten Kringeln auf ihrem Londoner Stadtplan hin und her. Dazwischen lagen die Straßen, Gassen und Parks, die eine lebendige, atmende Frau aus Maida Vale von einem feuchten Grab in Limehouse trennten. Sie strich den Stadtplan auf ihrem Schreibtisch glatt. Das war natürlich die Distanz in Luftlinie, die tatsächlich zurückgelegte Strecke betrug eher fünfzehn Kilometer. Cynthia legte den Finger auf den roten Kringel, der den Ort markierte, an dem Lisa Reed zum letzten Mal gesehen worden war. Dann fuhr sie damit die Marylebone Road und die Old Street entlang und versuchte den Weg nachzuvollziehen, den der Mörder genommen hatte. Lisa und ihre Freunde hatten sich an einem Punktverabschiedet, der nicht von Überwachungskameras erfasst wurde, die nächstgelegene Kamera war schon seit mehr als einem Monat kaputt. Der Angreifer könnte sie also in seinen Wagen gezerrt, vielleicht auch gelockt haben, um dann mit ihr quer durch die Stadt zu fahren, ohne Aufsehen zu erregen oder Spuren zu hinterlassen. Cynthia starrte nachdenklich auf die rot eingekringelte Straße in Maida Vale. Natürlich konnte der Mörder sie ebenso gut an Ort und Stelle erwürgt und die Leiche anschließend zum Fluss gefahren haben. Aber das war wenig wahrscheinlich, auf Lisas Heimweg gab es einfach zu viele Häuser. Es musste doch irgendjemand etwas bemerkt haben, selbst zu dieser Uhrzeit, wenn die meisten schon schliefen.
Ich habe Angst vor dem Einschlafen .
Die Worte schossen
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