Du sollst nicht sterben
Er funkelte Roy Grace an, holte einen Haufen weißer Papieranzüge und blauer Überschuhe aus dem Kofferraum und verteilte sie.
Der Constable führte sie hinein.
Die offene Diele mit dem schimmernden Parkettboden, den eleganten Metallskulpturen, abstrakten Gemälden und hohen, üppigen Pflanzen hätte Cleo begeistert. Es roch angenehm nach Kiefern, und er bemerkte auch einen süßeren, moschusartigen Geruch, der vermutlich von einer Duftmischung stammte. Es war eine angenehme Abwechslung, ein Haus zu betreten, das nicht nach Curry roch.
Er folgte Alcorn und Tindall eine gläserne Wendeltreppe hinauf. Über eine kleine Galerie gelangten sie in ein riesiges Schlafzimmer, in dem es stark nach Parfum roch.
Die Vorhänge waren aus einem zarten, weißen Stoff, die Wände wurden von Einbauschränken mit Glastüren gesäumt. Eine Doppeltür stand offen, und mehrere Kleider waren von den Bügeln gefallen.
Mitten im Raum thronte ein gewaltiges Bett mit vier hölzernen Pfosten. An einem hing die Kordel eines Morgenrocks, an einem anderen eine gestreifte Krawatte. Auf dem Boden lagen vier weitere Krawatten, jeweils paarweise verknotet. Die Bettdecke aus cremefarbenem Satin war völlig zerwühlt.
»Mrs Pearce wurde geknebelt und an Handgelenken und Knöcheln an die Pfosten gefesselt«, erklärte der Constable von der Tür aus. »Gegen halb sieben heute Morgen gelang es ihr, sich zu befreien, und sie rief ihre Freundin an.« Er schaute in sein Notizbuch. »Mrs Amanda Baldwin. Ich habe ihre Nummer.«
Grace nickte. Er betrachtete gerade ein Foto, das auf der Frisierkommode mit der Glasplatte stand. Eine attraktive Frau mit hochgestecktem schwarzem Haar stand im langen Abendkleid neben einem gutaussehenden Mann im Smoking. Er zeigte darauf. »Ich nehme an, das ist sie?«
»Ja, Chef.«
David Alcorn betrachtete ebenfalls das Foto.
»In welchem Zustand befand sie sich?«, wollte Grace wissen.
»Ziemlich übler Schock, Chef. Aber ansonsten ziemlich gefasst, wenn man bedenkt, was sie durchgemacht hat.«
»Wie sieht es mit ihrer Familie aus?«
»Der Mann ist gestern auf Geschäftsreise nach Helsinki geflogen.«
Grace überlegte und schaute Alcorn an. »Interessantes Timing. Könnte von Bedeutung sein. Ich wüsste gerne, wie oft er unterwegs ist. Der Täter könnte ein Bekannter sein oder ein Stalker.«
Er wandte sich an den Constable. »Er trug eine Maske, oder?«
»Ja, Sir, sie bedeckte das ganze Gesicht.«
Grace nickte. »Hat man den Ehemann schon benachrichtigt?«
»Er versucht, für heute einen Flug zu bekommen.«
Alcorn ging hinaus, um die anderen Zimmer zu überprüfen.
Joe Tindall nahm mit einer Kompaktkamera ein 360°-Video des Tatorts auf und zoomte dann das Bett heran.
»Sind Sie allein gekommen?«, fragte Grace den Constable, wobei er seine Blicke durch den Raum wandern ließ. Auf dem Boden lagen ein cremefarbener Slip, eine weiße Bluse, ein dunkelblaues Kostüm, eine Strumpfhose und ein BH. Die Sachen waren nicht wild verstreut, als hätte man sie der Frau vom Leib gerissen. Es sah aus, als hätte sie sich nachlässig entkleidet und die Sachen an Ort und Stelle liegen gelassen.
»Nein, Sir, mit Sergeant Porritt. Er hat sie und die Beamtin ins Krankenhaus begleitet.«
Grace fertigte eine Skizze des Zimmers an, auf der er die beiden Türen zum Flur und zum Badezimmer sowie sämtliche Fenster markierte. Sie mussten das ganze Zimmer sorgfältig nach Fingerabdrücken, Haaren, Fasern, Hautzellen, Speichel, Sperma, möglichen Spuren eines Gleitmittels von einem Kondom und Fußabdrücken untersuchen. Außerdem mussten sie die Umgebung des Hauses durchkämmen, vor allem nach Fußabdrücken und Kleiderfasern, die an Wänden oder Fensterrahmen hängen geblieben waren. Ebenso nach Zigarettenkippen.
Er musste Tindall genau sagen, welche Gegenstände aus Haus und Umgebung eingetütet und im Labor untersucht werden sollten. Auf jeden Fall das Bettzeug. Die Handtücher im Bad, falls sich der Täter die Hände oder andere Körperteile abgetrocknet hatte. Die Seife.
Er machte sich Notizen, während er im Zimmer umherging und nach etwas Ungewöhnlichem Ausschau hielt. Gegenüber vom Bett war ein riesiger Spiegel angebracht, warum nicht, dachte er. Auf einem Nachttisch lagen ein Tagebuch und ein Frauenroman, auf dem anderen ein Stapel IT-Zeitschriften. Er öffnete die Schranktüren. Noch nie in seinem Leben hatte er so viele Kleider gesehen.
Bei der nächsten Tür stieg ihm ein üppiger Lederduft in die Nase. Eine
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