Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
die Reise dieses Mal noch gefährlicher würde. Weil sich die Lage zuspitzte. Aber auch, weil das staatliche syrische Fernsehen in seinen Abendnachrichten mehrfach über meine Einschätzung des Bürgerkrieges berichtet hatte. Mit Foto. Meine Kritik am Regime und an den syrischen Medien hatte man dabei weggelassen. Bei politisch interessierten Syrern war ich nicht mehr ganz unbekannt. Außerdem fiel dort inzwischen jeder Ausländer auf.
Meine größte Sorge galt Frédéric. Er war nicht leicht zu kontrollieren. Vor allem nachdem er festgestellt hatte, wie friedlich und normal das Leben in Damaskus auch ein Jahr nach Beginn der »Revolution« zu sein schien. Die Straßen waren sauber, viel sauberer als in den meisten Städten der arabischen Welt. Die Menschen waren freundlich und lächelten. Wie immer.
Frédéric fühlte sich schon am ersten Tag wie zu Hause. Nach 23 Uhr, sobald ich mich zum Schreiben zurückgezogen hatte, ging er im Christenviertel auf Entdeckungstour. Allein war das offenbar lustiger, als wenn ich dabei war. Im Mushroom Park sprach er drei Jungs an, die auf einer Holzbank saßen, tranken und diskutierten. Habib war aus Damaskus, Gheit aus dem Irak und John aus Südsudan.
Sie luden ihn ein, ihren syrischen Whisky zu trinken. Endlich trafen sie wieder mal jemanden aus dem Westen. Früher sei der Park stets voll junger Leute aus der ganzen Welt gewesen. Manche hätten Gitarre gespielt, und alle hätten Spaß gehabt. Jetzt traue sich wegen der Katastrophen-Berichterstattung über Damaskus niemand mehr her. »Fuck you, Al-Dschasira«, schimpfte Habib.
Sie redeten über Gott und die Welt, lachten viel und schlossen schnell Freundschaft. Gegen 1 Uhr nachts hörten sie in der Ferne »Popcorn«-Schüsse, wie Freddy Maschinenpistolenfeuer nannte. Plop, plop, plop. Zwanzig bis dreißig Mal. »Das ist weit weg«, meinte Habib. Dann redeten sie weiter, der junge Deutsche und seine syrischen, irakischen, sudanesischen Freunde. Nachts in Damaskus. Ein Jahr nach Beginn der Revolution.
Der Rebell von Baba Amr
Am nächsten Tag trafen wir im abgedunkelten Hinterzimmer eines Vororthauses von Damaskus Omar, einen Rebellen der »Freien Syrischen Armee«. Ein Verbindungsmann der Opposition hatte uns zu ihm gebracht. Auf abenteuerlichen Wegen. Mehrfach hatten wir das Taxi gewechselt, um jeden denkbaren Verfolger abzuschütteln. Omar war 27 Jahre alt, groß, stämmig.
Am 27. Februar 2012 war er zusammen mit seinen Kameraden durch einen kilometerlangen Abwassertunnel aus dem umkämpften Baba Amr geflohen. Dieser Stadtteil von Homs war monatelang Hochburg der Rebellen. Bis die Armee sie mit schwerer Artillerie zur Aufgabe zwang. Während der Flucht seien drei Franzosen bei ihnen gewesen, erzählte Omar. Sie seien als Berater und Ausbilder tätig gewesen. Es habe noch mehr Franzosen dort gegeben, auch einen Engländer und einen Amerikaner. Seine Kameraden hätten ihnen allerdings nie richtig getraut.
Insgesamt seien sie in Baba Amr etwa 2000 Mann gewesen. Zehn Prozent davon Deserteure. Die meisten Rebellen hätten mit Kalaschnikows gekämpft. Einige hätten M16-Gewehre aus dem Libanon gehabt. Einmal sei eine große Lieferung unterschiedlichster Waffen aus dem Irak angekommen. Aber das sei die Ausnahme gewesen. Normalerweise müssten sie ihre Waffen auf dem Schwarzmarkt kaufen. Früher habe eine Kalaschnikow 300 Dollar gekostet. Jetzt müsse man 1800 hinlegen. Die Waffenhändler machten gute Geschäfte.
Die Rebellen finanzierten Waffen und Munition mit Spenden. Woher das Geld komme, wisse er nicht. Da Baba Amr eingekesselt gewesen sei, hätten sie zum Schluss kein Geld und keine Munition mehr gehabt.
Er habe sich schon früh den Rebellen angeschlossen. Er habe gesehen, wie die Armee friedliche Demonstranten beschossen habe. Auch Kinder seien dabei getötet worden. Nicht gezielt, aber das sei egal.
Er werde bald wieder kämpfen. Einige seiner Freunde seien schon wieder in Homs. Dieses Regime müsse gestürzt werden. Auch Assad. Er sei Chef der Armee, die seine Freunde getötet habe. In Baba Amr werde Assad nie mehr als Präsident akzeptiert werden. Er wisse zwar, dass Assad in Syrien und auch in Homs noch starke Unterstützung habe. Aber das interessiere ihn nicht. Assad müsse für jeden toten Zivilisten bezahlen. Auch für seinen toten Bruder Nabil.
An dieser Stelle verfinsterte sich Omars Gesicht. Ich sah, dass er Schwierigkeiten hatte, die Geschichte seines Bruders zu schildern. Nach einer langen Pause erzählte
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