Du stirbst zuerst
regt sich die Nervosität in der Brust. »Nicht die. Es ist … Ich bin nicht verrückt, okay? Ich wollte nur fliehen. Ich habe niemandem wehgetan, ich bin nur weggegangen, und ich muss verschwinden, ehe sie bekommen, was sie wollen …«
»Was wollen sie denn?«
»Das weiß ich nicht!«
»Entschuldigung«, sagt eine Frau. Es ist die Ärztin aus der Therapieecke. »Gibt es hier ein Problem?«
»Mir geht es gut.« Ich ringe mit mir und beruhige mich. Sie dürfen mich nicht so sehen – ich bin nicht verrückt. »Alles in Ordnung.«
»Warum gehen wir nicht in Ihr Zimmer?«, schlägt die Ärztin vor und hilft mir beim Aufstehen. »Sie machen sich wirklich gut, Michael, Sie bekommen auch keinen Ärger. Wir wollen uns nur etwas ausruhen.«
»Ich muss mich nicht ausruhen.«
»Sie nicht, aber die anderen Patienten. Wir wollen sie doch nicht stören, indem wir laut rufen.«
»Warten Sie mal«, sage ich. »Da wäre noch eine …«
Ich wende mich um und will Kelly etwas fragen, doch sie ist weg.
Soweit ich es beurteilen kann, wirken die Medikamente überhaupt nicht. Eine Woche ist vergangen – sieben lange Tage –, und weder Lucy noch die Reporterin haben mich wieder besucht. Ich habe mich bemüht, mit meinem geheimen Verbündeten Kontakt aufzunehmen, wer immer es ist, doch er antwortet nicht. Ich bin allein.
Sie geben mir Hafergrütze und Tabletten, sie kommen und gehen. Die Ärztin, die mich in mein Zimmer gebracht hat, sie heißt Linda Jones, lädt mich zu ihren Therapiesitzungen ein, aber darauf falle ich nicht herein. Sie will mich nur in die Ecke locken, wo der Fernseher etwas mit meinem Kopf anstellen kann.
Ich habe inzwischen alle elektrischen und elektronischen Geräte in der geschlossenen Abteilung registriert: einen Computer und einen Fernseher im Stationszimmer, ein elektrisches Schloss an der Pforte, einen Fernseher und eine analoge Uhr an der Wand des Gemeinschaftsraums, ein digitales Uhrenradio in jedem Zimmer, zwei Überwachungskameras im Hauptflur, zwei Rauchmelder im Hauptraum, einen weiteren auf der Toilette. So haben sie jeden Winkel im Griff und überwachen jede Ecke. Es gibt keine Stelle, wo sie mich nicht sehen können.
Wenn ich Wasser in das Uhrenradio kippe, ersetzen sie es. Deshalb weiß ich, dass es funktioniert hat. Falls ich wieder verschwinden muss, kann ich das Radio mit etwas Wasser ausschalten.
Am siebten Tag stehe ich im Gemeinschaftsraum und beobachte Devon, der weiter hinten zu tun hat. Beobachtet er mich auch? Ist er real? Ist sein Gesicht real? Er lächelt, und die Muskeln bewegen sich glaubwürdig unter der Haut. Eine Schwester geht an mir vorbei zur Pforte. Ich drehe mich um, als sie den Code eintippt: Sechs und Acht. Dann bewegt sie sich, und ich erkenne nichts mehr. Das Gitter springt auf, sie tritt hinaus und zieht es hinter sich zu. Sechs und Acht. Wie viele Ziffern sind es? Die Schwester verschwindet hinter einer Ecke, dann taucht jemand anders auf. Ein Gesichtsloser. Groß und aufrecht im passgenauen grauen Anzug. Er steht direkt vor der Pforte und sieht mich an. Auch wenn er keine Augen hat und das Gesicht nur eine verschwommene Fläche ist, weiß ich genau, dass er mich mustert. Keiner von uns bewegt sich.
Auf einmal berührt mich jemand an der Schulter. Ich fahre erschrocken herum, aber es ist nur Devon.
»Jemand ist da, der … Mann, Mikey, alles in Ordnung? Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»Da ist jemand.« Ich wende mich wieder um und deute auf den Gesichtslosen, doch der ist verschwunden, und stattdessen sehe ich zwei Männer vor der Pforte. Sie haben ruhige, ganz normale Gesichter und tragen schwarze und keine grauen Anzüge. »Er stand genau dort.« Aufgeregt gehe ich einen Schritt nach vorn und versuche, hinter die Männer zu blicken, doch dann spüre ich das Summen des Computermonitors und weiche zurück. »Haben Sie ihn gesehen?«, frage ich Devon. Ich wende mich an die Männer draußen im Flur. »Er stand direkt dort, wo Sie jetzt stehen. Haben Sie ihn nicht gesehen? Sie müssen ganz nahe an ihm vorbeigekommen sein!«, schreie ich. »Es war ein Gesichtsloser. Haben Sie ihn denn nicht bemerkt?«
Die Männer wechseln einen Blick. Einer von ihnen, ein Asiate, zieht die Augenbrauen hoch. Sie halten mich für verrückt.
»Immer mit der Ruhe, Mikey. Da ist niemand. In Ordnung? Immer mit der Ruhe.«
»Sagen Sie mir bloß nicht, ich soll ruhig bleiben.« Ich will sie doch überzeugen, dass ich nicht verrückt bin, und darf nicht so ausrasten.
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