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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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frei. Ich möchte Ihnen helfen, zu diesem Zustand zurückzukehren, und dies ist das einzige Mittel, das ich Ihnen anbieten kann. Ich muss zugeben, dass es Risiken gibt, aber alles andere wäre noch gefährlicher.« Er hält mir den Becher hin. »Die Symptome und Halluzinationen werden wieder einsetzen. Zuerst nur langsam, dann immer stärker, während das Seroquel im Körper abgebaut wird. Es dauert eine Weile, bis das Clozapin Sie wieder in diesen Zustand zurückversetzt, aber je eher Sie beginnen, desto schneller werden alle Ihre Symptome verschwinden.«
    Ich schließe die Augen. Er hat recht. Ob ich Herzkrankheiten bekomme oder nicht, ich will nicht mehr so sein, wie ich früher war. So kann ich nicht mehr leben, und dieses Mittel wird mich entweder heilen oder umbringen. Sind das nicht sowieso die einzigen Möglichkeiten, die ich habe? Ich werfe ihm einen raschen Blick zu, dann konzentriere ich mich auf das Radio. Der rote Punkt ist noch da, ein ewig waches kleines Auge. Die Schwester hat mein Blut schon in ein Fläschchen auf dem Tablett umgefüllt und ist fertig.
    Doktor Little hält mir noch einmal den Becher hin. Dieses Mal nehme ich ihn an.
    Eine halbe Tablette. Ein kleiner heller Halbmond, nicht breiter als ein Fingernagel.
    Ich stecke mir die Pille in den Mund, schlucke hinunter und spüre sie nicht einmal richtig.
    »Michael.«
    Außer mir ist niemand im Zimmer. Ich konzentriere mich wieder auf das Puzzle.
    »Michael, ich bin’s. Derjenige, der dir helfen will.«
    »Du bist nicht real.«
    »Natürlich bin ich real. Ich bin genauso real wie du.«
    »Du bist bloß eine Stimme im Kopf.«
    »Michael, kauf ihnen diese Lügen nicht ab. Du bist nicht verrückt. Sie untersuchen dich wie eine Ratte im Labyrinth.«
    Ich blicke auf. »Wenn du real bist, wo bist du dann?«
    »Ich bin im Lüftungsschacht.«
    »Das ist unmöglich.«
    »Du hörst mich durch den Lüftungsschacht. Ich selbst sitze nebenan.«
    »Dann kann ich ja rüberkommen und nachsehen.«
    »Das dürfen sie nicht mitbekommen. Sie dürfen nicht merken, dass wir zusammenarbeiten.«
    »Wir arbeiten nicht zusammen.«
    »Wir müssen Doktor Little töten, Michael. Er ist der­jenige, der dich hier festhält. Das ist die einzige Möglichkeit, hinauszukommen.«
    Ich springe auf, stürme zur Tür und renne ins Nach­barzimmer, in dem Gordon lebt. Es ist niemand da. Ich blicke unter das Bett und hinter die Stühle, ich öffne sogar die Schubladen der Kommode. Nichts. Dann kehre ich in mein Zimmer zurück und untersuche es ebenfalls gründlich, doch auch dort entdecke ich niemanden. Schließlich schiebe ich den schweren Stuhl vor den Luftschacht und wende mich wieder dem Puzzle zu.
    Die Stimme klingt jetzt gedämpft. »Du bist ein solcher Idiot, Michael. Du bist ein nutzloser, wertloser, hirnloser Idiot! Töte Doktor Little und sieh zu, dass du hier rauskommst! Bist du wirklich so ein Feigling?«
    Ich schiebe die Puzzleteile in die Schachtel und bringe sie in den Gemeinschaftsraum. Die Stimme schreit hinter mir her, und ich zähle laut, um sie zu übertönen.
    Ich schlafe auf dem Stuhl, das Bettzeug habe ich auf die Uhr auf der Kommode getürmt. In vier Tagen wollen sie das nächste Mal mein Blut testen. Wenn die Werte in Ordnung sind, will Doktor Little die Dosis erhöhen. Die Stimme im Luftschacht ließ sich nicht mehr hören. Shauna erzählte mir, der Patient sei verlegt worden. Ich esse allein und rede mit Linda über meinen Vater. In vier Tagen führen sie den nächsten Bluttest durch, im Moment bekomme ich fünfundzwanzig Milligramm Clozapin am Tag, und Shauna existiert natürlich nicht. Das weiß ich.
    Nach einer Weile decke ich das Uhrenradio nicht mehr zu, wage mich aber immer noch nicht in dessen Nähe. Das ist eine alte Gewohnheit, und alte Gewohnheiten legt man schwer ab. Linda sagt, die Kleinigkeiten wie die Angst vor Handys und so weiter werden als Letztes verschwinden, weil es sich dabei um angelerntes Verhalten und nicht um psychische Störungen handelt. Es dauert eine Weile, das alles zu verlernen. Eigentlich handelt es sich dabei um gesunde Reaktionen auf falsche Daten, und die Therapie hilft mir, meine Reaktions­weisen entsprechend anzupassen. Inzwischen kann ich sogar fernsehen, der Stecker steckt, und der Apparat ist eingeschaltet.
    Doktor Little findet, es gehe mir jeden Tag besser, doch ich habe immer noch Symptome, und er erhöht die Dosis weiter. Doktor Vanek arbeitet an meinen Erinnerungen und versucht von Medikamenten bis Hypnose alles

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