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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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mit absoluter Sicherheit, dass ich mich geradeaus halten muss. Das würde bedeuten, die Straße zu verlassen und zwischen den Häusern weiterzugehen. Diesen Weg habe ich schon einmal zu Fuß eingeschlagen. Ich warte und beleuchte die leeren Häuser mit den Scheinwerfern, schließlich schüttle ich den Kopf und biege ab. Im Auto bin ich sicher. Was da draußen ist und worauf ich stoßen werde, weiß ich nicht. Ich folge der Straße um die Häuser herum und biege mehrmals ab, bis ich schließlich wieder den Weg entdecke, als hätte ich eine psychische Witterung aufgenommen. Dort entlang. Ich erreiche eine weitere Reihe leerer Gebäude und überlege mir, dass ich anhalten sollte, weil mir ein Haus neben der Straße bekannt vorkommt. Hier war ich schon einmal, hier habe ich gelebt.
    In die vordere Wand, etwa vier Meter über dem Boden, ist ein breites Buntglasfenster eingelassen. Es ist völlig zerstört.
    Ich bremse und starre das geborstene Fenster an. Auf der nackten Erde vor dem Haus zeichnen sich zahlreiche Fußabdrücke ab. Die meisten Glassplitter sind verschwunden, entweder aufgeräumt oder gestohlen. Ich steige aus dem Auto und schließe es sorgfältig ab. Die Vordertür ist mit zerfetzten gelben Bändern versperrt. Betreten verboten. Ein Tatort, den die Polizei markiert hat. Die Bänder sind längst zerrissen und hängen schlaff herab. Vorsichtig lege ich die Hand auf den Türknauf und rechne schon damit, einen elektrischen Schlag zu bekommen oder durch ein summendes Handy gelähmt zu werden, doch nichts geschieht. Der Knauf dreht sich nicht, trotzdem lässt sich die Tür öffnen. Das Schloss ist zerstört. Dahinter entdecke ich einen kleinen Treppenabsatz, die Treppe führt nach oben zum Fenster und nach unten in die Dunkelheit.
    Ich trete ein, taste mich allein anhand der Erinnerung an der Tür vorbei zum Treppengeländer. Völlig sicher bewege ich mich durch das Haus, steige die Treppe hoch und weiß, dass Kelly recht hatte. Ich habe hier gelebt. Durch das geborstene Fenster starre ich hinaus auf die weite Fläche mit dunklen, leeren Häusern. Hierher habe ich mich zurückgezogen, um mich zu verstecken, hier haben sie mich geschnappt. Sie haben mich entdeckt, ich bin aus dem Fenster gesprungen und habe das Bewusstsein verloren. Ich verlasse das Quadrat des bleichen Mondlichts auf dem Boden. Was findet sich sonst noch in diesem Haus? Habe ich etwas zurückge­lassen?
    In der Küche untersuche ich jede Ausbuchtung: ein Loch in der Arbeitsfläche, wo der Herd eingesetzt werden sollte, daneben die Aussparung für die Spülmaschine. Die Schränke haben keine Türen. Der Platz für den Kühlschrank ist frei, nur das Kabel hängt schon dort.
    Alle Räume sind völlig leer und kommen mir dennoch bekannt vor. Während ich mich umsehe, versuche ich, die Bruchstücke zusammenzusetzen – die Erinnerungen an das Haus und an die zwei Wochen, die ich hier verbracht habe. Doktor Vanek wollte unbedingt, dass ich mich daran erinnere – jedenfalls ist dies ein Teil davon. Ich trete durch Türöffnungen ohne Rahmen und bemühe mich fieberhaft, die Erinnerungen wachzurufen.
    In einem Schlafzimmer klafft ein Loch in der Wand. Die Ränder sind ungleichmäßig gezackt, doch aus der Nähe erkenne ich, dass es gar kein Loch ist, sondern ein alter brauner Schmierfleck, etwa einen halben Meter breit und einen Meter hoch. Vielleicht Blut? Wessen Blut? Ich erinnere mich nicht, ob der Fleck früher schon da war. Habe ich einen Cop verletzt? Oder einen anderen Menschen?
    Werde ich unter dem Fußboden neue Opfer des Wellnesskillers entdecken, wenn ich mich noch länger umsehe?
    Gründlich durchsuche ich das Erdgeschoss. Auch hier sind die meisten Räume noch nicht fertig. Stellenweise erkenne ich das nackte Mauerwerk, gelegentlich ist schon der Putz aufgetragen, hier und dort sind Holz­gerüste aufgebaut. Ich forsche in allen Räumen nach Hinweisen, habe die ganze Zeit schreckliche Angst und finde nicht das Geringste. Das Licht ist zu schlecht, es ist fast wie in einer Höhle, und ich muss eher tasten, als dass ich etwas sehe. Ich entdecke nichts, was nicht an seinem Platz ist, und die Tatsache, dass ich dies weiß, ist fast erschreckender als alles andere. Im letzten Schlafzimmer – ich weiß inzwischen, dass es mein Zimmer war – finde ich eine feuchte, vergammelte Decke und eine kleine Pappschachtel. Darauf steht ein altes Schnurtelefon, das dünne Kabel verschwindet im Wandschrank.
    Ich weiß, dass das Telefon funktioniert. Das ist

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