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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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kombinieren kann, um Zyankali herzustellen.«
    »Nein.« Ich schüttle den Kopf und laufe in dem kleinen Büro hin und her. »Das ist unglaublich. Es sind die Kinder der Erde, eine andere Erklärung ist gar nicht möglich. Wir müssen sie aufhalten.«
    Sie öffnet ein weiteres Dokument und geht nacheinander die Seiten mit ihren Notizen durch. »Da ist es.« Sie sucht auf dem Schreibtisch nach einem Stift und notiert es auf der Rückseite eines Umschlags. »Die Polizei hat Sie unter einer Brücke aufgegriffen, unter der Interstate Vierunddreißig. Sie sind weggelaufen und in ein verlassenes Haus eingedrungen. Hier ist die Adresse. Vielleicht können Sie sich dort noch einmal verstecken.«
    »Warten Sie.« Mir bleibt fast das Herz stehen, und ich habe nur noch einen einzigen klaren Gedanken im Kopf. »Was meinen Sie damit, es sei ein verlassenes Haus gewesen?«
    »Es ist sogar eine ganze aufgegebene Siedlung.« Sie gibt mir den Zettel: Stonebridge Court. »Der Eigentümer ist während der Rezession pleite gegangen, und die Häuser wurden nicht fertiggestellt.«
    Ich erbleiche, mir werden die Knie weich. »Ist dort niemand mehr?«
    »Genau«, bestätigt sie und starrt mich besorgt an. »Nur Reihen um Reihen von leeren Häusern. Ist das für Sie irgend­wie wichtig?«
    In der Ferne heulen Sirenen, wir heben erschrocken die Köpfe.
    »Ich muss sofort dorthin.«
    »Die Polizei ist gleich da«, warnt sie mich. »Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt noch hier herauskommen.«
    »Kann man das Fenster öffnen?«
    Sie schaltet das Licht aus und eilt zu den Jalousien. »Es ist hoch, ich wohne im ersten Stock.« Sie reißt das Fenster auf. »Seien Sie vorsichtig.«
    »Sagen Sie ihnen nicht, wohin ich unterwegs bin.«
    »Nein.«
    Ich steige zum Fenster hinaus und springe in die Dunkelheit hinab.



Die leere Stadt.
    Sie ist mit einem Maschendrahtzaun abgesperrt, dahinter steht ein Schild: Willkommen in Stonebridge Court. Ein neues Wohnviertel, halb vollendet und aufgegeben. Ich fahre langsam am Zaun entlang und betrachte die leeren Häuser, die im Dunkeln vorüberziehen. Es muss einen Zugang geben – das nehme ich nicht nur an, das weiß ich so sicher, als sei ich schon einmal hier gewesen. Tatsächlich war ich schon einmal hier. Habe ich hier gelebt? Mich hier versteckt? Was werde ich finden?
    Ich erinnere mich an einen tiefen Schacht. Bin ich hin­eingestürzt? Der Polizist sagte, ich sei aus einem Fenster gefallen.
    Da entdecke ich eine Lücke im Zaun. Eine breite, leere Straße führt mitten in die verlassene Siedlung hin­ein. Bei ihrem Anblick überfällt mich eine schreckliche, irrationale Angst, doch ich nehme meinen ganzen Mut zusammen, fahre weiter und verdränge alle anderen Gedanken. Ich gehöre hierher. Oder etwa nicht? Eine Kette, die die Straße früher einmal abgesperrt hat, liegt aufgerollt am Rand. Vorsichtig fahre ich vorbei. Die Scheinwerfer tauchen das erste Haus in grelles Licht. Ein leerer Kasten, mit Graffiti beschmiert. Eine drohende Hülle aus gezackten, kreischenden Wörtern. Das Licht wandert weiter, das Haus verschwindet in der Dunkelheit.
    Ich fahre langsam und zähle die verlassenen Häuser. Zwei, vier, zehn, zwanzig. Leere Briefkästen stehen aufgereiht wie Soldaten, leere Fenster starren mich an wie die Augen von Kadavern. Schwarz und tot, bis die Scheinwerfer hier und dort in der Ferne etwas hell Reflektierendes erfassen. Die meisten Bauten wirken zumindest von außen so, als seien sie fertig. Die Vorgärten bestehen allerdings aus nackter Erde, und in den Einfahrten liegen hier und dort noch Balken und Zementsäcke herum. Die Fenster mit den Firmenaufklebern wirken wie Pupillen. Mit schiefen, schrägen Blicken beobachten sie einander.
    An einer Ecke erscheint kurz ein Schatten und verschwindet wieder. Ich bin nicht allein.
    An der nächsten Kreuzung halte ich an und betrachte das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es gleicht den anderen und unterscheidet sich doch. Ich biege nach rechts ab. Äußere Anzeichen gibt es nicht, trotzdem hat sich eine Erinnerung geregt. Nach dem Abbiegen kommt mir die Gegend bekannt vor. Ich bin auf dem richtigen Weg. An der nächsten Ecke erwacht eine weitere Erinnerung – hier geht es nach links –, doch mit jeder neuen Einsicht wächst auch das Unbe­hagen. Ich rutsche auf dem Sitz hin und her und spüre eine namenlose Furcht. Der Weg ist richtig, fühlt sich aber nicht richtig an. Trotzdem fahre ich weiter. Dann erreiche ich eine T-Kreuzung und weiß

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