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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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zu folgen. Ich muss hier verschwinden – ich muss weg und werde nie zurückkehren. Vorsichtshalber nehme ich noch ein Clonazepam. Ich brauche ein stärkeres Mittel – etwas, das die Halluzinationen endgültig vertreibt. Nach einer Weile folge ich dem weiten Bogen einer Auffahrt zum erhöhten Freeway. Vor mir erstreckt sich die Stadt wie ein Himmel voller Schatten. Drunten leuchten die Sterne heller als oben.
    »Ich muss das Telefon gar nicht benutzen.« Auf einmal sitzt Vanek neben mir auf dem Beifahrersitz. Ich verliere fast die Kontrolle über das Auto, kann es dann aber doch auf die äußerste rechte Spur lenken. Voller Angst halte ich das Lenkrad umklammert.
    »Verschwinden Sie! Sie sind nicht real!«
    »Wie ich schon sagte, Michael, nur weil ich in Ihrem Kopf stecke, heißt das noch nicht, dass ich nicht real bin.«
    »Das hat Lucy auch gesagt.«
    »Lucy soll für sich selbst sprechen«, erwidert er mit harter Stimme. »Sie ist eine reine Wahnvorstellung, und eine fadenscheinige und überzogene obendrein. Ich dagegen bin real.«
    »Sie sind nicht real.«
    »Sagen Sie das nicht dauernd!«, brüllt er. »Ich stecke seit Jahren in Ihrem schwachsinnigen Kopf, schon Ihr ganzes Leben lang, und so nutzlos Ihr Leben auch ist, ich lasse nicht zu, dass Sie es wegwerfen. Ich will etwas aus Ihnen machen, und wenn wir beide dabei umkommen.«
    »Was wollen Sie denn aus mir machen?«
    »Was denn wohl?« Er wirft die Hände hoch. »Was denken Sie denn? Mich selbst natürlich. Sie sind ein erbärmlicher Versager, Michael. Ein perfekter, gesunder Körper, in dem ein kaputter Geist steckt, der nichts Gescheites mit der Hülle anfangen kann. Ich dagegen bin ein brillanter Verstand, der überhaupt keinen Körper hat. Stellen Sie sich doch mal vor, was ich mit Ihrem Körper anfangen könnte.«
    »Das ist …« Ich zittere. Oberkörper und Arme vibrieren so heftig, als hätte die Spätdyskinesie wieder ein­gesetzt. Verdrängt von meiner eigenen Erfindung. »Das darf nicht sein.«
    »Das größte Hindernis gegenüber jeder eindringenden Kraft ist die äußere Hülle«, erklärt Vanek leise. »Man muss sie zertrümmern oder sich auf eine endlose Be­lagerung einrichten. Ich dagegen bin schon drinnen, ich bin längst jenseits der Mauern, laufe durch die Straßen und plündere und brandschatze. Zwischen Ihnen und mir steht lediglich Ihr Bewusstsein, Michael, und das ist dieser Aufgabe gewiss nicht gewachsen. Es ist schwach und hilflos, es erkennt nicht einmal den Unterschied zwischen der Wahrheit und den eigenen Lügen. Mit Verstärkung ist auch nicht zu rechnen. Dieses Mal kommt keine Kavallerie, die Sie heraushaut. Es gibt nur Sie und mich.«
    »Hör nicht auf ihn, Michael!« Es ist Lucy, die hinten sitzt. Wieder erschrecke ich so sehr, dass ich den Wagen beinahe gegen die Leitplanke lenke.
    »O bitte«, knurrt Vanek.
    Ich bringe das Auto wieder unter Kontrolle und sehe mich über die Schulter um. Lucy lächelt mich freundlich an.
    »Ich bin immer für dich da, Michael. Zusammen besiegen wir ihn.«
    »Für diesen Mist habe ich keine Zeit«, sagt Vanek. »Du bist eine fade Hollywoodphantasie schlimmster Sorte. Du bist die unwahrscheinlichste Wahnvorstellung, die dieser Mann je hatte, dabei glaubt er, sein Heißwasserbereiter wolle ihn umbringen.«
    »Hör nicht auf ihn, Michael. Ich liebe dich.«
    »Du bist ein infantiles Hirngespinst«, faucht Vanek. Dann deutet er auf mich. »Und Sie sind ein narzisstischer Dummkopf, der mittels einer Halluzination eine Liebeserklärung an sich selbst formuliert. Das ist einfach nur peinlich.«
    »Und was ist mit Ihnen?«, entgegne ich. Verzweifelt versuche ich, mir etwas einfallen zu lassen, irgend­etwas, um zu kontern. »Was sagt Ihre Existenz über mich aus? Dass ich mich hasse? Dass ich ein fetter, taktloser Wichser bin wie Sie?«
    Er lächelt, die Zähne schimmern böse und flackern, wenn wir unter den riesigen Lampen am Highway vorbeifahren. »Was ich bedeute? Ich bin hier, weil Sie Potenzial haben, Michael. Sie haben Lucy erschaffen, weil Sie aus Ihrem Leben fliehen wollten, aber ich bin hier, weil Sie etwas verändern wollen. Ich bin Psychiater und dazu entschlossen, Sie zu heilen. Ich bin das strahlende Symbol der Verbesserung und dränge Sie, über sich hinauszuwachsen. Ich existiere, weil Sie wissen, dass Sie mehr sein können, als Sie es jetzt sind.«
    »Hör nicht auf ihn«, sagt Lucy leise. »Er will dich nicht bessern, er will dich besetzen. Eine Veränderung seiner Geschichte ist

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