Du und ich und all die Jahre (German Edition)
vergangenen zwölf Monaten war Dads Rolle bei dem ganzen Unglück irgendwie immer unwichtiger für mich geworden.
Mom hatte mir vorgeschlagen, ein paar meiner Freunde zu uns zum Abendessen einzuladen; ich hatte missmutig abgelehnt.
«Es wird so langweilig», hatte ich gesagt. «Meine Freunde wollen bestimmt nicht herkommen, um mit deinem Freund fernzusehen.»
«In Ordnung, Schatz, wie du meinst», hatte Mom leichthin geantwortet, was mich nur noch wütender machte. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. So wollte ich nicht Silvester feiern. Ich wollte auf eine Party, oder zumindest eine bei mir zu Hause veranstalten. Gut, was ich tatsächlich wollte, war die Silvesterparty vom letzten Jahr, eine zweite Chance, ohne das blutige Ende. Und vor allem mit Julian Symonds in meinem Zimmer sitzen.
Julian und ich hatten seit dem Valentinstag nicht mehr miteinander gesprochen. Er hatte während der Sommerferien ein paar Mal angerufen, aber ich hatte mich jedes Mal von Mom verleugnen lassen. Ich wollte nie wieder mit ihm reden, mir nicht anhören, wie leid ihm alles tat, dass es nicht an mir lag, sondern an ihm. Nein, Julian, wir können keine Freunde bleiben, danke der Nachfrage. Das hätte viel zu weh getan.
Eigentlich hätte ich schon längst über ihn hinweg sein müssen. «Ihr seid nur ungefähr fünf Minuten lang zusammen gewesen», hatte Emma Bradley, meine angeblich beste Freundin, in der Schule zu mir gesagt, als ich kürzlich bei Julians Namen zusammengezuckt war. «Findest du nicht, dass du ein bisschen … melodramatisch bist? Es ist ja nicht so, dass ihr ineinander verliebt gewesen wärt. Du hast nicht mal mit ihm geschlafen.»
Das stimmte, ich hatte nicht mit ihm geschlafen, aber ich war trotzdem in ihn verliebt. Und es waren auch nicht nur fünf Minuten gewesen. Es waren fünf Wochen. Fünf quälende, selige Wochen voller Gefühlschaos, die intensivsten fünf Wochen meines gesamten Lebens. Fünf Wochen, in denen ich Julian Symonds’ Freundin gewesen war.
Das hatte meine kühnsten Träume übertroffen. Zu Schulbeginn, eine Woche nach der Silvesterparty, war ich noch völlig panisch gewesen. Ich hatte schreckliche Angst davor, Julian wiederzusehen. Bestimmt hatte er die Geschichte von der Party der ganzen Schule erzählt; von meiner furchtbaren Familie, dass mein Vater ein Irrer und ich unglaublich uncool war, mit einem Druck von Gustav Klimt an der Wand und überhaupt. Am ersten Schultag traute ich mich auf dem Weg zur Morgenversammlung nicht, irgendjemandem offen in die Augen zu sehen. Angespannt schielte ich hin und wieder zu den anderen, um zu überprüfen, ob man mich anstarrte, flüsterte, auf mich zeigte oder lachte. Nein, nichts dergleichen. Auf dem Weg zur Aula begrüßten mich lediglich ein paar Klassenkameraden und fragten, wie die Ferien waren. Gerade als ich die Aula betreten wollte, hielt mich jemand vorsichtig am Ärmel fest. Ich drehte mich um, und da stand er.
«Hallo», sagte Julian, ohne mir wirklich in die Augen zu sehen. «Wie geht es dir?» Er wirkte nervös, trat von einem Fuß auf den anderen und kaute an seiner Unterlippe.
«Danke, gut», sagte ich und konzentrierte mich darauf weiterzuatmen, ohne einfach umzukippen. «Und dir?»
«Ich wollte eigentlich anrufen», sagte er, «und fragen, ob alles okay ist bei dir und deiner Mutter. Aber ich wusste nicht genau, ob das wirklich so eine gute Idee ist, falls … Ich habe mir Sorgen gemacht …»
«Dad ist ausgezogen», erklärte ich, «du hättest ruhig anrufen können, also, wenn du wolltest, also mich anrufen.» Gott, ich hörte mich an, als wäre ich zurückgeblieben.
«Nicole, das mit deinen Eltern tut mir wirklich leid. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.» Er schien ganz verstört zu sein.
«Das war doch nicht deine Schuld», erwiderte ich.
«Irgendwie schon …»
«Julian …»
Die Glocke läutete zum zweiten Mal, wenn wir nicht eine volle Woche lang nachsitzen wollten, mussten wir jetzt in die Aula.
«Kann ich dich besuchen?», fragte er. «In den nächsten Tagen, irgendwann nach der Schule?»
Mein Herz klopfte wie wild, und ich wurde beinahe ohnmächtig.
«Na-na-türlich», stammelte ich. «Das wäre … schön. Heute habe ich Klavier und am Donnerstag Sport, aber sonst, kein Problem.» Oh Gott, ich redete wie eine Neunjährige!
Julian schien das anders zu sehen, denn er lächelte nur und sagte: «Gut. Dann komme ich morgen vorbei.»
Während ich zur Versammlung ging, schaute ich noch einmal über
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