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Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Titel: Du und ich und all die Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Silver
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bin trotzdem froh, dass Alex im Club ist.»
    «Moment mal!», rief ich und boxte spielerisch gegen seinen Arm. «Im Ernst, bist du dir wirklich sicher, dass du nach England zurückkommen willst? Wirst du den Sonnenschein und die Abenteuer nicht vermissen?»
    «Den Sonnenschein schon. Die Abenteuer weniger.»
    «Ist alles in Ordnung, Aidan?»
    «Ich bin fertig, Nic. Ich bin komplett und total erschöpft. Und außerdem hat man mir einen guten Job angeboten – Assistent der Leitung der Redaktion für Dokumentarfilm und Reportage bei Cannon TV. Ich bekomme das erste Mal in meinem Leben ein Gehalt, von dem man leben kann.»
    «Das ist toll, Aidan. Ich bin nur, nun ja, ein bisschen überrascht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie du den ganzen Tag hinterm Schreibtisch hockst.»
    Er seufzte. «Weißt du was? Ich freue mich darauf, am Schreibtisch zu sitzen. Ich habe … das alles satt. Seitdem ich aus Kinshasa weg bin, habe ich erst mal wahnsinnig viel getrunken. Ich konnte wochenlang nicht schlafen, außer wenn ich so viel intus hatte, dass ich praktisch ohnmächtig wurde …»
    «Um Himmels willen, Aidan. Das tut mir leid.» Er legte mir den Arm um die Schultern und zog mich an sich.
    «Es war furchtbar. Ich kann es nicht erklären. Ich habe schon wirklich schlimme Scheiße gesehen, aber der Kongo war einfach … erschütternd. Du würdest es nicht glauben, Nicole, du würdest nicht glauben, was da wirklich los ist … Die massenhaften Vergewaltigungen von Frauen und Kindern irgendwo mitten im Urwald sehen auf der Titelseite einfach nicht so gut aus wie der Kosovo oder der Euro oder die Jahrtausendwende. Niemand schert sich einen Dreck darum.»
    «Das ist nicht wahr, Aidan, es wurde darüber berichtet …»
    «Du hast keine Ahnung, Nic, du hast keine Ahnung.» Er wischte sich mit der Hand über die Augen, schüttelte den Kopf, als müsste er schlimme Erinnerungen vertreiben. «Da unten gibt es Mädchen, kleine Mädchen, zehn oder elf Jahre alt, die von ganzen Horden von Soldaten vergewaltigt worden sind. Für die ist es eine Waffe, ein kostengünstiger Weg, um ihre Gegner zu zerstören. Du willst einfach nur noch heulen. Denn wenn es vorbei ist, wenn sie mit ihnen fertig sind und die Mädchen es überlebt haben, sind sie trotzdem ruiniert. Ihr Leben ist vorbei.»
    Seine Hände zitterten, als er versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden. Ich legte meine Hände auf seine und hielt sie fest. Aidan lächelte und nahm einen tiefen Zug.
    «Ich habe einfach genug davon. Es macht mich verrückt. Und weißt du was? Ich bin schon so verdammt lange dabei, dass ich beinahe vergessen habe, dass es eine Menge Leute gibt, die ihr Leben leben und ihrer Arbeit nachgehen, ohne dass ständig jemand auf ihren Kopf zielt. Ich will auch so ein Leben. Ich kann dir nicht richtig erklären, ich kann es wirklich nicht, wie verflucht anstrengend es ist, immer Angst zu haben.»
    «Aidan.» Ich hielt ihn fest, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. So verletzlich hatte ich ihn noch nie erlebt, nie zuvor das Gefühl gehabt, ihn beschützen zu müssen.
    «Außerdem werde ich alt.»
    Eine gute Gelegenheit, ihn etwas aufzuheitern.
    «Das stimmt, du bist jetzt über dreißig, das ist uralt.»
    «Deprimierend, das kannst du mir glauben.»
    «Ich weiß, ich werde im Mai dreiundzwanzig. Das heißt, ich bin jetzt Mitte zwanzig, nicht länger Anfang zwanzig! Es ist erschreckend.»
    «Schon, aber dafür bist du immer noch genauso schön wie damals, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe», sagte er. Dabei sah er mir in die Augen und strich mit dem Daumen über meine Wange bis zu meinen Lippen.
    Ich stieß ihn weg. «Ich war vierzehn, als wir uns das erste Mal gesehen haben, du Perversling.»
    «Aber ich dachte, du wärst sechzehn.»
    «Das macht es nicht besser.»

    Wir gingen weiter die Themse entlang bis zur Southwark Bridge, wo wir den Fluss überquerten. Dann schlenderten wir am Globe Theatre und dem Bankside-Kraftwerk vorbei, das damals noch nicht die Tate Modern beherbergte. Schließlich suchten wir uns eine Bank, schmiegten uns wegen der Kälte eng aneinander und schauten auf den Fluss hinaus.
    «Das ist nicht der einzige Grund», sagte Aidan schließlich. «Was ich dir gerade erzählt habe, ist nicht der einzige Grund.»
    «Was ist nicht der einzige Grund wofür?»
    Er schnippte seine Zigarettenkippe über das Geländer und sah den Funken hinterher, die im Dunkeln verglühten.
    «Mein Beruf, der Kongo, dass ich ein abgehalfterter

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