Du und ich und all die Jahre (German Edition)
Ehrlichkeit? Kannst du haben.» Ich rattere die Fakten runter. «Aidan hat angerufen und auf meine Mailbox gesprochen. Er leitet jetzt eine Produktionsfirma in New York, und da gibt es ein Projekt, für das ich seiner Meinung nach genau die Richtige bin. Ein Film über die Rolle der Frauen im libyschen Bürgerkrieg. Er braucht einen Regisseur dafür, weil der eigentlich engagierte krank geworden ist. Nervenzusammenbruch oder so was. Im Januar soll es losgehen. Und ich will den Job.» Dom schweigt, zieht nur die Augenbrauen hoch und fährt sich über den Mund. «Ich hasse das, was ich jetzt mache, Dom, ich hasse es. Es ist absolut sinnloser Trash, ich hasse es.»
«Also haust du ab nach Libyen?»
«Warte, ich bin noch nicht fertig», verkünde ich. Der Alkohol brennt jetzt in meinem Bauch, gaukelt mir Mut vor. «Wo wir gerade ehrlich miteinander sind, muss ich dir auch sagen, dass ich Kontakt zu Alex habe. Schon seit Monaten. Sie will wieder heiraten. Das Problem ist nur – der Typ betrügt sie jetzt schon. Sie wollte meinen Rat. Schließlich habe ich auf dem Gebiet einige Erfahrung.» Dom holt tief Luft. Ich habe ihn verletzt, und das fühlt sich nicht gut an, gar nicht gut. Ich kann nicht fassen, dass wir dieses Gespräch ausgerechnet einen Tag vor unserem Urlaub führen.
«Es tut mir leid», murmele ich und gehe aus der Küche. Wir ziehen uns beide in unsere jeweilige Ecke des Rings zurück, Dom in sein Arbeitszimmer, ich in meins.
Später ruft er zu mir hoch: «Ich gehe jetzt mit den Hunden. Willst du mit?»
Ein Friedensangebot.
Draußen ist es schon dunkel, also gehen wir nicht zum Common. Stattdessen entscheiden wir uns für die Straße Richtung Wimbledon Village. Die Hunde laufen an der Leine; ich gehe mit Marianne, er hat Mick. Dom nimmt meine Hand und singt: «You can’t always get what you want.» Man kann nicht immer alles haben. Nicht gerade ein neuer Spruch, aber er gewinnt gerade an Aktualität.
«Willst du wirklich wieder um den halben Erdball reisen?», fragt er. «In Dreckslöchern schlafen, die Impfungen über dich ergehen lassen, in Gewehrläufe blicken, Angst haben … Willst du das alles wirklich wieder machen?»
«Es ist eine große Chance für mich, Dom. Die Chance, so wie früher etwas Sinnvolles zu tun. Hier fühle ich mich ausgebremst, um ehrlich zu sein. Ich muss wieder raus in die Welt.»
«Ich wusste nicht, dass ich dich ausbremse.»
«Das tust du nicht.» Ich drücke seine Hand. « Du bremst mich nicht aus. Es ist eher so, dass ich mich ausgebremst fühle .» Wieso schaffe ich es nicht, ihm das richtig zu erklären?
«Du kannst doch auch hier sinnvollere Projekte machen. Dafür musst du nicht nach Libyen. Ist ja nicht so, als gäbe es in England keine erschütternden und wichtigen Geschichten, über die man Filme drehen könnte. Du musst wirklich nicht weiter diesen Scheiß … also die gleichen Sachen drehen wie in den letzten Jahren.»
Ich übergehe, was er da gerade über meine Arbeit gesagt hat. Es stimmt ja. «Ich weiß, Dom, aber jetzt habe ich eben dieses Angebot, und zwar von einer wirklich guten Produktionsfirma. Das ist ein Riesenschritt. Ich bekomme ansonsten im Moment keine guten Aufträge mehr. Die Branche hat sich in den letzten Jahren total verändert. Die Leute, die ich kannte, sind alle weg …»
Wir sind am Ende der Hauptstraße angekommen und biegen rechts ab – hier gehen wir immer lang, wenn wir für einen richtig langen Spaziergang mit den Hunden zu spät losgekommen sind. Dom lässt meine Hände fahren und marschiert vor mir her.
«Wann hat er dich gefragt?», ruft er mir über die Schulter hinweg zu. «Wann hat Aidan dir den Film angeboten?»
«Vor ein paar Wochen.»
«Warum hast du mir nichts davon erzählt?»
«Weil ich mir nicht sicher war, ob ich es machen will.»
«Und dass ich dir bei der Entscheidung vielleicht helfen könnte, auf die Idee bist du nicht gekommen?»
«Nein, ehrlich gesagt nicht. Und zwar weil es dabei um Aidan geht und die Frage, ob ich Zeit im Ausland verbringe.»
Den Rest des Spaziergangs verbringen wir schweigend. Zu Hause füttere ich die Hunde, wasche mir die Hände, schaue in den Kühlschrank und starre betrübt auf die traurigen Reste von Weihnachten. Aber ich kann es unmöglich vor mir selbst rechtfertigen, schon wieder etwas zu bestellen. Hinter mir entkorkt Dom eine Flasche Rotwein.
«Meinst du, dass diese Massen an Alkohol uns jetzt wirklich helfen, die Angelegenheit zu klären?», frage ich
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