Du und ich und all die Jahre (German Edition)
blockiere den Strom ungeduldiger New Yorker, die auf dem Rückweg zu ihren Schreibtischen an mir vorbeidrängen, Roastbeef-Sandwiches und Thermobecher mit dampfender Suppe in der Hand. Ich kann mich nicht bewegen. Ich bin wie festgenagelt und beobachte regungslos, wie Aidan auf mich zukommt. Jede seiner lässigen Bewegungen ist mir so vertraut. Die Art, wie er den Kopf hält, wenn er lächelt, bringt mein Herz zum Stillstand. Aidan.
«Als ich dir einen Job angeboten habe, war mir nicht klar, dass du plötzlich vor meiner Türe stehen würdest», sagt er, als er bei mir angekommen ist. «Ich dachte, du würdest wenigstens vorher anrufen.»
«Ich war … in der Gegend», erkläre ich, und wir müssen lachen.
«Klar.» Er mustert meine Armani-Tüte. «Du warst shoppen?»
«Genau.»
«Dann bist du hier natürlich genau richtig.»
Wir stehen da, grinsen einander dümmlich an und werden von Passanten angerempelt. Schließlich sagt er: «Hast du Zeit für einen Kaffee?»
Der Schneefall wird dichter, also suchen wir Unterschlupf in einer Bar um die Ecke von Aidans Büro, wo wir zwei Kaffee und zwei Whisky ordern. Nur zum Aufwärmen. Wir sitzen in einem Nebenraum in der Ecke, heben unsere Gläser und stoßen an.
«Also, was läuft so bei dir, Nic?»
«Ich bin nur für ein paar Tage hier. Karl macht eine Silvesterparty.»
«Oh ja, stimmt, hat er erwähnt.»
«Gehst du hin?»
«Hatte ich nicht vor. Mir ist um diese Jahreszeit nicht mehr nach Feiern.» Er trinkt einen Schluck von seinem Whisky.
«Ich weiß, was du meinst. Aber weil es Karl ist, dachte ich … und ich sehe ihn ja sonst nie, verstehst du?»
«Klar, absolut. Ich finde es super, dass du hingehst. Er wird sich wahnsinnig freuen, dich zu sehen. Außerdem ist es jetzt vier Jahre her … Kommt mir gar nicht so lange vor.»
Ich zucke mit den Achseln. «Ich weiß nicht. Manchmal ja, manchmal nein. Es tut noch genauso weh, als sei es gestern passiert, und fühlt sich gleichzeitig an, als hätte ich ihn seit einem Jahrhundert nicht mehr gesehen. Ich schaue mir manchmal Fotos von ihm an, weil ich Angst habe, zu vergessen, wie er aussieht. Das Problem hast du nicht, oder?» Ich mustere Aidan.
«Du hast ja immer gesagt, wir wären uns äußerlich so ähnlich. Ich habe das nie so empfunden – er sah viel besser aus als ich.»
« Viel besser», bestätige ich, und er lacht. «Außerdem war er liebenswerter, lustiger, intelligenter …»
«Ja, okay.» Aidan wendet den Blick ab, als er das sagt. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich habe Tränen in Aidans Augen gesehen. «Er fehlt mir, verdammt noch mal, Nicole.»
«Ich weiß.»
Aidan sitzt mit dem Rücken zum Fenster. Plötzlich steht er auf und schiebt seinen Stuhl neben meinen, damit wir zusammen den Schnee beobachten können, der jetzt in Böen über die Straße fegt.
«Ich habe in zehn Minuten ein Meeting mit einem neuen Regisseur», sagt Aidan.
«Ich muss mich in einer halben Stunde mit meinem Mann in der Met treffen», entgegne ich.
Er sieht mich an und grinst verschwörerisch. «Ich sage ab, wenn du absagst.»
«Bekommst du dadurch keine Schwierigkeiten?», frage ich.
«Mit wem? Ich bin der Boss.»
«Stimmt ja. Ich kann das kaum glauben! Du bist viel zu unzuverlässig dafür.»
Aidan ruft sein Büro an und entschuldigt sich, während ich Doms Nummer wähle.
«Das Wetter ist katastrophal», sagt er, bevor ich zu Wort komme. «Wollen wir die Met auf morgen verschieben?»
«Okay.»
«Bist du auf dem Rückweg?», fragt er.
«Ich bin bei Bloomingdale’s», lüge ich. «Bisher habe ich noch kein Kleid gefunden.»
Aidan geht an die Bar und bestellt noch zwei Whisky. Als er sich wieder neben mich setzt und meine Hand nimmt, zuckt ein Blitzschlag durch meinen Körper. Ich erinnere mich an das letzte Mal, als wir so Händchen gehalten haben. Aidan hatte draußen vor meiner Wohnung in Brixton gewartet. An dem Tag, als ich aus Wales zurückkam. Nachdem ich es gehört hatte. Er saß draußen auf den Stufen, den Kopf in die Hände gestützt. Ich stieg aus dem Auto und ging auf ihn zu; wir weinten beide. Keiner von uns sagte etwas, er nahm einfach meine Hand, und wir gingen gemeinsam die Stufen zum Haus hinauf. Dom folgte uns. Als ich endlich realisierte, dass Dom ja auch noch da war, ließ ich Aidans Hand los. Seitdem habe ihn nicht mehr berührt, nicht mal bei der Beerdigung. Und da hätte er jemanden gebraucht, der ihn stützte. Ich hätte einiges darum gegeben, dieser Jemand zu
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