Du und Ich
Achtung! Im Keller hält sich ein Junge versteckt. Es ist Lorenzo Cuni, der so tut, als wäre er in den Skiferien … Liebe Hausbewohner …«
Ich warf die Arme gegen die Gitter und flehte: »Still! Sei still, ich bitte ich.«
Sie sah mich belustigt an. »Dann mach auf, oder soll ich das ganze Haus aufwecken?«
Ich konnte nicht glauben, dass sie so gemein war. Sie hatte mich reingelegt. »Okay. Aber morgen früh gehst du wieder. Versprichst du mir das?«
»Ich verspreche es dir.«
»Ich komme. Geh zur Haustür.«
Ich ging so eilig los, dass ich erst, als ich über den Flur lief, merkte, dass ich keine Schuhe anhatte. Ich musste wahnsinnig schnell sein. Zum Glück war es spät. Meine Eltern kamen oft spät nach Hause, aber nicht erst um drei Uhr nachts.
»Wenn ich mir vorstelle, ich mache die Haustür auf und begegne meinen Eltern … Wie scheißpeinlich!«, sagte ich mir, während ich die Treppe hochstieg, immer zwei Stufen auf einmal. Um den Cercopithecus musste man sich nachts keine Sorgen machen. Er schlief nicht, sondern verfiel in eine Art Lethargie, hatte er mir erklärt, und schuld daran waren Zigeuner, die seinen Wach-Schlaf-Rhythmus durcheinandergebracht hatten. Vor drei Jahren waren sie in sein Souterrain eingedrungen und hatten ihn mit einem Betäubungsspray besprüht. Da gab es nun all diese Wohnungen voller Geld, Gemälde und Juwelen, und diese Dummköpfe waren ausgerechnet beim Cercopithecus eingebrochen. Sie hatten eine Brille und ein Radio mitgenommen. Kurz und gut: Der Arme hatte drei Tage am Stück geschlafen. Nicht einmal auf der Erste-Hilfe-Station hatten sie es geschafft, ihn wach zu halten. Seit dem Tag, hatte er mir erklärt, war er immer müde. Und wenn er einschlief, hatte er einen unheimlich tiefen Schlaf: »Wenn ein Erdbeben kommt, bin ich geliefert. Was zum Teufel haben mir diese verdammten Zigeuner bloß ins Gesicht gesprüht?«
Ich durchquerte den Hausflur. Den kalten Marmor unter den Füßen.
Ich öffnete die große Eingangstür, und da stand sie und wartete auf mich.
»Danke, kleiner Bruder«, sagte sie.
6
Olivia setzte sich aufs Sofa. Sie zog sich die Stiefel aus, schlug die Beine übereinander und zündete sich eine neue Zigarette an. »Es ist echt schön hier. Man fühlt sich richtig wohl.«
»Danke«, rutschte es mir heraus, als wäre das meine Wohnung.
»Hast du was zu trinken?«
»Es gibt Fruchtsaft, Coca-Cola … warm, und Wasser.«
»Hast du kein Bier?«
»Nein.«
»Dann ein bisschen Saft«, bestellte sie, als wäre sie in einer Bar.
Ich brachte ihr die Flasche, sie nahm einen tiefen Schluck und wischte sich den Mund mit dem Pulloverärmel ab. »Das ist der erste ruhige Moment des Tages.« Sie rieb sich die Augen und stieß eine Rauchwolke aus. »Ich muss mich ausruhen.« Sie legte den Kopf auf die Sofalehne, blieb so und starrte die dunkle Decke an.
Ich betrachtete sie schweigend und wusste nicht, was ich sagen sollte. Vielleicht hatte sie keine Lust zu reden, oder ich war für sie keiner, mit dem man sich unterhalten kann. Umso besser.
Ich legte mich hin und begann zu lesen, doch ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich schaute über mein Buch hinweg und beobachtete sie. Sie hatte die Zigarette im Mund und die Augen geschlossen. Die Asche wurde länger, doch sie schnippte sie nicht ab. Ich machte mir Sorgen, dass sie herunterfallen und sie verbrennen könnte. Vielleicht schlief sie.
»Ist dir kalt? Willst du eine Decke?«, fragte ich, um es herauszufinden.
Sie brauchte eine Weile für die Antwort. Mit geschlossenen Augen sagte sie: »Ja, danke.«
»Es gibt die der Contessa … Sie sind alt und stinken auch ein bisschen.«
»Der Contessa?«
»Ja, die vor uns in unserer Wohnung gewohnt hat. Denk nur, Papa hat die Wohnung gekauft, und sie durfte drinbleiben. Er hat gewartet, bis sie gestorben war. Um ihr zu helfen. All dieses Zeug ist aus der Wohnung der Contessa Nunziante.«
»Ah, er hat sie als Eigentum ohne Nießbrauch gekauft.«
»Was bedeutet das?«
»Weißt du nicht, was Eigentum ohne Nießbrauch ist?«
»Nein.«
»Das ist, wenn einer, weil er keine Verwandten und auch keine Lira mehr hat, seine Wohnung zu einem niedrigen Preis verkauft, aber bis zu seinem Tod drinbleiben kann … Das ist nicht so leicht zu erklären.« Sie lachte in sich hinein. »Warte, jetzt erkläre ich es dir besser …« Sie sprach langsam, als fehlten ihr die Worte. »Stell dir mal vor, du bist alt und hast niemanden, du hast nur eine kleine Rente, und was machst du
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