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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niccolò Ammaniti
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Schnee gibt?« Sie sah mich an, weil sie nicht wusste, was sie antworten sollte.
    »Ein bisschen«, sagte ich ihr mit leiser Stimme vor.
    »Ein bisschen«, sagte sie ruhig. »Alessia ist sehr zufrieden.« Sie sah mich an und schüttelte den Kopf. »Lorenzo, das möchte ich noch sagen, ist so ein netter Junge. Er bringt uns alle zum Lachen. Es ist eine Freude, ihn bei uns zu haben. Und er denkt immer nur an die anderen.«
    »Toll. Du bist großartig«, rutschte es mir heraus, ohne dass ich es merkte.
    »Wenn du willst, gebe ich dir meine Handynummer. Aber wir rufen dich auf jeden Fall wieder an. Auf bald … Dir auch einen schönen Tag. Ciao. Ja natürlich. Ja natürlich. Danke. Danke.« Und sie legte auf.
    Ich sprang auf und riss die Arme hoch. »Spitze! Du bist superklasse. Du warst absolut genau wie die Mutter von Alessia. Kennst du sie denn?«
    »Ich kenne den Typ«, sagte sie und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, kniff die Augen zusammen, machte sie wieder auf, sah mich an und kotzte in ihre Hände.
    Im Bad kotzte sie weiter. Oder besser: Sie versuchte es, schaffte es aber nicht. Dann warf sie sich erschöpft aufs Sofa und zog sich die Hosen aus. Ihre weißen Beine zitterten, und sie trat um sich, als wollte sie das Zittern abschütteln. »Jetzt ist es so weit. Scheiße, jetzt ist es so weit …«, keuchte sie mit geschlossenen Augen.
    Was für eine Krankheit hatte sie denn? Und wenn sie ansteckend war?
    »Was ist jetzt so weit?«
    »Nichts … Es ist nichts.«
    »Was hast du denn? Ist deine Krankheit ansteckend?«
    »Nein. Mach dir keine Sorgen, kümmere dich nicht um mich. Mach deinen eigenen Kram, so als wäre ich nicht da. Okay?«
    Ich schluckte. »Okay.«
    Sie hatte Malaria. Wie Caravaggio.
    Sie hatte gesagt, ich sollte mich um meinen eigenen Kram kümmern. Perfekt. Kein Problem. Darin war ich Meister. Ich machte mich daran, Soul Reaver zu spielen. Da war wieder das Monster, mit dem ich nicht fertigwurde. Ich konnte es aber nicht lassen, ab und zu einen Blick auf sie zu werfen.
    Sie schaffte es nicht, länger als eine Minute still zu liegen. Sie zappelte herum, änderte ihre Position, als läge sie auf einem Teppich aus Flaschenscherben. Sie wickelte sich in die Decke ein, riss sie wieder weg, warf sich hin und her und litt, als würde sie gefoltert.
    Es machte mich verrückt, dass sie so übertrieben jammerte. Ich hatte das Gefühl, das war alles nur Mache und sie tat es, um mich zu nerven.
    Ich stellte bei den Kopfhörern volle Lautstärke ein, drehte mich zur Wand hin und steckte den Kopf so tief in ein Buch, dass ich schielen musste. Ich las ein paar Zeilen und schloss die Augen.
    Zwei Stunden später machte ich sie wieder auf. Olivia saß auf der Sofakante, total verschwitzt, bewegte nervös die Beine und sah auf den Boden. Sie hatte den Pullover ausgezogen, trug ein schlabbriges blaues Unterhemd, das den Blick auf ihren Hängebusen freigab. Sie war so mager, dass man all ihre Knochen sah, und ihre Füße waren lang und schmal. Sie hatte einen Hals wie ein Windhund, breite Schultern, und die Arme …
    Was hatte sie da mitten auf den Armen?
    Mit roten Pünktchen übersäte violette Flecken.
    Sie hob den Kopf. »Geschlafen, he?«
    Der Ort in Sizilien, wo Papa sie hinschicken wollte …
    »Was?«
    Das Geld …
    »Hast du geschlafen?«
    Meine Eltern, die aufhörten, von Olivia zu reden, sobald sie mich sahen …
    »Ja …«
    Die Krankheit, die nicht ansteckend ist …
    »Ich muss irgendwas essen …«
    Sie war wie die in der Villa Borghese. Die auf den Bänken. Die, die dich fragen, ob du Kleingeld hast. Die mit dem Bier. Ich hielt mich von denen fern. Sie hatten mir immer Angst gemacht.
    »Gib mir einen Keks … Ein bisschen Brot …«
    Und jetzt war eine von denen hier.
    Ich stand auf, holte die Packung Dosenbrot und brachte sie ihr.
    Sie war neben mir. In meinem Versteck.
    Sie warf das Brot aufs Sofa. »Ich will mich waschen … Ich ekle mich vor mir selbst …«
    »Es gibt nur kaltes Wasser.« Ich wunderte mich, dass ich es schaffte, ihr zu antworten.
    »Ist egal. Ich muss was tun«, sagte sie zu sich selbst, kam mit Mühe auf die Beine und ging ins Bad.
    Ich wartete, bis das Wasser lief, und stürzte mich auf ihren kleinen Rucksack. Drinnen waren ein abgenutztes Portemonnaie, ein mit Zetteln vollgestopfter Kalender, ihr Handy und in Plastik eingeschweißte Spritzen.

 
7
    Ich lag auf dem Bett und starrte an die Decke. Es war still, doch wenn ich den Atem anhielt, hörte ich Olivia im Bad,

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