Du wirst die Schoenste sein
niedrigen Tisch vor einem Sofa, auf das sich Ernesto mit seinem Anwalt niederlassen wollte. Wir testeten die Geschichte, wobei uns der flüssig deutsch sprechende Miguel, der momentan wohl als einziger im Haus war, behilflich war. Wenn ich auf alle viere ging, einen geraden Rücken machte, passte die Höhe in etwa. Die Tischplatte war aus Korkartigem Material, ein regelrechtes Leichtgewicht also. Ernesto und Miguel kicherten während wir herum probierten und steckten mich damit an. Ich stellte mir vor, wie einem Dr. Kirchhoff, der Anwalt mit dem totalen Aktenblick, wie Ernesto ihn beschrieb, ein Tischbein aus Fleisch und Blut – meine Wenigkeit also – bis zu Ernestos triumphaler Aufdeckung total entgehen würde. Und war gespannt auf seine Reaktion.
Nachdem die Geschichte so einigermaßen saß, duschte ich erst einmal und streckte mich bis zu meinem Einsatz auf dem Bett des Gästezimmers aus, das Ernesto mir angeboten hatte. Ein angenehm heruntergekühlter Raum und ganz wie die übrigen Zimmer, die ich bisher gesehen hatte, schnörkellos, ultramodern eingerichtet.
War ich glücklich in dem Moment? Vermutlich schon. Ich erinnere mich aber eher an eine geradezu lähmende Müdigkeit. Ich hatte einen so wunderbar aufregenden Tag erlebt und mir ging es fast wie einem kleinen Geburtstagskind, dem vor lauter Überraschungen die Augen zufallen.
Ich musste wohl tatsächlich eingenickt sein, denn plötzlich hörte ich jemand rufen: „Schnell, Thea, schnell! Dr. Kirchhoff ist da!“
Verdammt!
Miguel nahm meine Hand und wir rannten durch einen langen Gang und Miguel half mir, die Korkplatte auf meinen gestreckten Rücken zu platzieren.
„Keine Bewegung mehr“, flüsterte er, da bereits Stimmen zu hören waren. Er musste das Zimmer wohl verlassen haben, denn als ich ihn zurückkommen hörte, konnte ich frisch aufgebrühtem Espresso riechen. Außerdem spürte ich am leicht veränderten Gewicht der Korkplatte, dass er nicht nur die Espresso-Tassen abstellte sondern wohl auch Gläser.
Meine Position als Tischbein ging zwar in Richtung Tür, da ich meinen Kopf aber in etwa einer Linie mit meinem Rücken gebeugt halten musste, sah ich von den Eintretenden gerade mal Schuhe, beziehungsweise Sandalen, Ernestos, und einen Streifen Hosenbein.
„Vierzehn Prozent halte ich für indiskutabel“, hörte ich eine mir unbekannte Stimme sagen.
„Richtig.“ Das kam von Ernesto. Vermutlich setzten sich die beiden. Für einen kurzen Moment war eine ziemliche Belastung der Korkplatte zu spüren, durch einen Ordner vielleicht oder auch einen Laptop. Mir kam der Gedanke, der Anwalt könnte mich möglicherweise mit seinen Füßen erreichen, wenn er seine Beine ausstreckte. Ich hoffte, sie waren nicht lang genug.
Anfangs ließ ich mir kein Wort entgehen, hoffte ich doch, etwas über Ernestos heutige Verhandlung oder seine geschäftlichen Aktivitäten überhaupt zu erfahren, nur hörte ich ausschließlich Wörter wie Rendite und Zins und jede Menge Zahlen, die der Anwalt hörbar elektronisch klickend errechnete.
Fatalerweise tauchte schon bald ein Problem auf. Niemand hatte daran gedacht, die Steinfliesen mit einem Teppich, einem Läufer, mit irgendwas eben abzudecken. Dass man von einer zukünftigen Sportlehrerin zu Recht erwarten konnte, sich mit durchgedrückten Armen auf dem Boden abzustützen, den Kopf derart zu beugen, dass er mit dem Rücken eine in etwa gerade Linie bildete, ging in Ordnung. Das Problem war mein rechtes Knie wegen einer Unebenheit in der Steinfliese darunter. Der Druck war nicht nur unangenehm, mir tat mein Knie allmählich teuflisch weh.
„Noch ist kein Bescheid da wegen der EU-Subventionen.“
„Ich rechne aber fest damit“, hörte ich Ernesto sagen.
„Abwarten.“
„Dabei können die hier ohne wachsendes Bauvolumen doch praktisch einpacken.“
Danach hörte ich nicht mehr zu, stattdessen konzentrierte ich mich darauf, mein schmerzendes Knie ganz vorsichtig von der Unebenheit im Stein weg zu bewegen.
„Und der Festivalpark?“
„Da sind schon ...“
Gaaanz vorsichtig! Trotzdem war nicht zu überhören, dass über mir, auf der Tischplatte also, etwas ins Rutschen kam ... und dann hörte ich auch schon Geschirr auf die Fliesen knallen und mit Geschepper zu Bruch gehen.
„Fuck!“ Ernesto sprang auf. Ich krabbelte unter der Korkplatte vor und griff danach, um ein Umkippen zu verhindern. Dabei blickte ich in Richtung Anwalt. Aufgerissene Augen hinter Brillengläsern, dickliche Lippen zu einem
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