Du wirst noch an mich denken
Affäre.
Natürlich hatte sie nie behauptet, dass sie diese Affäre gerade mit ihm haben wollte. Was ihn allerdings nicht davon abgehalten hatte, ihr mehr als einmal zu erklären, dass er nicht den Hengst für sie spielen würde. Das war es, was ihn wirklich wurmte, der Gedanke, einer Frau, die so viel Klasse besaß, eine Abfuhr erteilt zu haben, ohne dass sie auch nur einmal zu erkennen gegeben hätte, dass seine Aufmerksamkeiten überhaupt erwünscht gewesen wären.
Als ob sie mit einem Kerl wie ihm etwas anfangen könnte. Er hatte Dinge gesehen und sich an Orten herumgetrieben, von deren bloßer Existenz sie nichts wusste, während sie etwas Unberührbares an sich hatte, dem nicht einmal die Misshandlungen, die ihr Exmann ihr zugefügt hatte, etwas anhaben konnten. Was diese Affäre betraf, kam für sie wahrscheinlich eher ein Kerl aus der Kategorie Yuppie in Frage, jemand, der sauber und ordentlich war - ein Arzt oder ein Anwalt mit gepflegten, weichen Händen.
Also gab es eigentlich gar kein Problem, oder? Weder er noch sie hatte Interesse an einer sexuellen Beziehung, er brauchte sich also nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob er eine bereits mehr als komplizierte Situation noch komplizierter machte. Während des vergangenen Jahres hatte er sich die allergrößte Mühe gegeben, sein Leben zu vereinfachen, und das sollte auch so bleiben; abgesehen davon wäre es wirklich vermessen von ihm, die Verantwortung für Aunie übernehmen zu wollen. Sie hatte ihn kein einziges Mal darum gebeten. Im Gegenteil, sie unternahm jede erdenkliche Anstrengung, um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren - das schien eine besonders wichtige Rolle für sie zu spielen. Am besten, er vergaß einfach, dass er dieses Intermezzo provoziert hatte und wandte sich wieder den bedeutsamen Dingen im Leben zu. Nichts für ungut.
Aber warum wurde er dann das Gefühl nicht los, dass er es bei Aunie mit einer fünfundvierzig Kilo schweren Ladung reinen Dynamits zu tun hatte, die im Begriff stand, mitten in seinem Leben hochzugehen?
Aunie ließ den Lippenstift sinken und musterte kritisch ihr Spiegelbild. Sah sie gut genug aus? Selbst sie konnte nicht bestreiten, dass ihr Teint makellos war, aber davon einmal abgesehen, hatte sie es immer merkwürdig gefunden, dass die Leute so ein Theater um ihr Aussehen machten. Mit schlechtem Gewissen hatte sie ihren Vorteil daraus gezogen, aber verstanden hatte sie es nie.
Heute war es ihr jedoch wichtig, so gut wie möglich auszusehen. Sie machte eine halbe Drehung und sah über ihre Schulter, um sich zu vergewissern, dass der kirschrote Rock aus dünnem Wollstoff richtig saß. Dann zupfte sie die Fransen des Schals um den Ausschnitt ihrer Seidenbluse zurecht. Gleich würde sie die Familien von James und Otis kennen lernen, und sie war schrecklich nervös.
Ob sie sich nicht gänzlich überflüssig vorkäme? Immerhin war Thanksgiving, ein Fest, das man im Kreis der Familie beging. Sie hatte diesem Tag einen Monat lang mit Bangen entgegengesehen, während ihre Kommilitonen voller Vorfreude Pläne geschmiedet hatten. Es tat weh, sich anzuhören, was andere vorhatten, wenn man wusste, dass man selbst mutterseelenallein sein würde. Dann hatte Lola vergangene Woche bei ihr geklingelt und darauf bestanden, dass sie Thanksgiving mit ihnen verbrachte.
Aunies Selbstvertrauen hatte einen neuen Tiefstand seit der Attacke von Wesley erreicht, aber das hätte sie nie jemandem gestanden. Sie konnte sich nicht vorstellen, überhaupt irgendwo willkommen zu sein, und in der Gegenwart von Fremden - wozu praktisch die gesamte Einwohnerschaft von Seattle zählte - trat ihre alte Schüchternheit immer ganz besonders stark zu Tage.
Es war ihr furchtbar peinlich, wenn sie daran dachte, wie sie vor James und Lola über ihre beabsichtigte Affäre drauflosgeplappert hatte. Nichts als leeres Geschwätz. Sie hatte es noch nicht einmal geschafft, mehr als ein paar Worte mit dem einen oder anderen ihrer Kommilitonen zu wechseln. Sie reagierte freundlich, wenn sie angesprochen wurde, brachte es jedoch nicht fertig, von sich aus Kontakt zu suchen. Als Lola sie einlud, überfiel sie sofort die Angst, sie könnte sich bei einem Familientreffen aufdrängen, und wollte die Einladung ablehnen. Lola und Otis, selbst James auf seine Art waren unglaublich nett zu ihr gewesen. Aber diesen Tag verbrachte man im Kreis seiner Lieben, und sie würde sich wie ein Störenfried vorkommen.
Lola gab sich mit einem Nein von ihr jedoch nicht
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