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Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist

Titel: Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cameron Stefanie Kremer
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Großteil aller Konflikte auf der Welt, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart, wurde durch religiöse Intoleranz ausgelöst. Ich könnte endlos über diese Dinge reden, da ich das alles sehr erschütternd finde, besonders wenn man an so etwas wie den 11. September denkt, aber ich lasse es lieber. Der springende Punkt ist, ich wollte nicht am Amerikanischen Klassenzimmer teilnehmen, ich wusste, es würde ein Albtraum werden, doch es wurde mir befohlen. Das alles war letzten Herbst, als ich mich gerade bei verschiedenen Colleges bewarb, und dass man mich für Das Amerikanische Klassenzimmer ausgewählt hatte, war angeblich eine ganz große Sache und würde mich nach Harvard oder Yale bringen. (Was es nicht tat.)
    Es stimmt schon, dass ich mit einer negativen Einstellung da hinging, aber es war wirklich vom ersten Moment an einfach schrecklich. Na ja, die ersten Momente waren eigentlich ganz in Ordnung, das heißt, bevor ich in D.C. ankam. Ich nahm den Zug, der von der Penn Station nach Washington geht, und ich fahre sehr gern Zug, selbst mit diesem jämmerlichen Amtrak. Die allerersten Momente waren schlimm - irgendwie musste ich den Weg durch diesen Albtraum schaffen, den sie die Penn Station nennen. Der Gedanke, dass da einmal ein wunderschönes und majestätisches Gebäude in New York City stand, das ich nicht mehr erleben kann, weil ein paar Männer in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts beschlossen haben, es abzureißen (das ist ein gutes Beispiel dafür, weshalb Machtpositionen mit Frauen besetzt sein sollten - ich bezweifle ernsthaft, dass Frauen die alte Penn Station niedergerissen hätten), macht mich rasend. In der neuen, so viel besseren Penn Station wird der Bahnsteig erst ungefähr 30 Sekunden vor Abfahrt des Zuges bekannt gegeben, also muss man da herumstehen und auf die (wirklich hässliche) Anzeigentafel starren und sich dann mit Tausenden anderen wie wild auf den angegebenen Bahnsteig stürzen, wenn man einen Sitzplatz haben will. Die allerersten Momente meiner Reise waren daher unangenehm, aber als ich erst einmal im Zug war und einen guten Platz in dem Wagen gefunden hatte, in dem man weder Musik hören noch mit dem Handy telefonieren darf, war alles in Ordnung.
    Zu den Dingen am Amerikanischen Klassenzimmer, die düsterste Vorahnungen aufkommen ließen, zählte die Kleiderordnung. Die«Herren»mussten Sakko und Krawatte sowie Stoffhosen und Lederschuhe tragen. Die«Damen»mussten Kleider oder Hosenanzüge sowie«angemessene»Blusen und Lederschuhe tragen. Ich fand es ein wenig besorgniserregend, dass auf einer Veranstaltung, mit der angeblich das Wunder der Demokratie gefeiert wurde, solche totalitären Ansichten in puncto Kleidung vertreten wurden.
    Also trug ich auf der Zugfahrt dorthin Sakko und Krawatte und Lederschuhe und angemessene Hosen und genoss meine letzten Minuten in Freiheit. Neben der bereits erwähnten Verkleidung verlangte man von uns auch, während der ganzen Zeit in Washington Namensschilder zu tragen. Die Schilder waren uns zugeschickt worden, so dass wir sie schon tragen konnten, wenn wir dort eintrafen, auf welchem Flughafen, Busterminal oder Bahnhof auch immer wir eintreffen würden. Auf den Namensschildern stand DAS AMERIKANISCHE KLASSENZIMMER in rot-weiß-blau gestreiften Buchstaben und darunter, in schwarzen Buchstaben, unser Name und der Bundesstaat, den wir vertraten. Ich hatte mein Schild in der Sakkotasche, denn ich weigerte mich bis zum letztmöglichen Augenblick, es anzustecken.
    Als ich an der Union Station aus dem Zug stieg, kam mir auf einmal der Gedanke, dass ich doch einfach unerkannt an der Gruppe vorbeigehen und auf eigene Faust umherstreifen und eine wunderbare, einsame Woche in Washington verbringen könnte. Meine Mutter hatte mir«nur für den Fall», dass ich sie brauchte, ihre Kreditkarte gegeben, also würde ich ohne Schwierigkeiten in ein Hotel gehen können. Ich könnte jede Menge Zeit in der National Gallery verbringen oder einfach nur in meinem Hotelzimmer bleiben und den Roman von Trollope lesen, den ich in der Hoffnung mitgenommen hatte, zwischen den Indoktrinationssitzungen vielleicht etwas Zeit zu haben. Als ich gerade darüber nachdachte, sah ich nicht weit entfernt eine große Gruppe seltsam gekleideter junger Leute. In der Mitte stand eine Frau, die wie eine Stewardess angezogen war und die offenbar Namen auf einer Liste auf ihrem Klemmbrett abhakte. Die Schüler trugen ihre Namensschilder und standen herum wie Vieh, das darauf wartet,

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