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Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist

Titel: Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cameron Stefanie Kremer
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im Auge war, der sie daran hinderte, das Stück zu genießen. Ich finde es erschreckend, dass scheinbar altruistisches Verhalten in Wirklichkeit oftmals ziemlich eigennützig ist. Selbst sogenannte Heilige wie Mutter Teresa gehen mir auf die Nerven. Auf gewisse Weise war sie genau so ehrgeizig wie mein Vater oder sonst jemand, der in seinem Beruf an der Spitze stehen will. Mutter Teresa wollte die beste Heilige sein, die Spitzenheilige, also widmete sie sich den schlimmsten Aufgaben, die sie finden konnte, und ich weiß auch, dass sie den Menschen geholfen und Elend gelindert hat, und ich sage ja nicht, dass das etwas Schlechtes ist, ich sage nur, dass ich denke, dass sie ebenso eigennützig und ehrgeizig war wie jeder andere auch. Das Problem, wenn man so denkt, ist, dass man, wenn man diese Art des Ehrgeizes und der Eigennützigkeit vermeiden will, rein gar nichts tun sollte - niemandem Schaden zufügen, aber auch niemandem etwas Gutes tun. Gar nichts tun: sich nicht anmaßen, den Lauf der Welt zu stören. Ich weiß, dass das praktisch keinen Sinn ergibt, aber genau das dachte ich, als Nareem sich zu mir an den Tisch setzte.
    Sie spürte in meinem Schweigen wohl eine Art Urteil oder Misstrauen (oder Schwachsinn), denn sie sah mich mit echter Ratlosigkeit an, als wäre ich ja vielleicht taubstumm oder so, und sagte, ganz langsam und deutlich:«An unserem Tisch ist genug Platz. Möchtest du nicht zu uns kommen?»
    Und dann erkannte ich, dass sie wirklich nett war. Sie war aufrichtig nett. Sie lag zwar falsch, aber sie war nett. Doch sie wusste nicht, was sie da sagte, sie sagte:«Komm, setz dich an unseren Tisch», als wäre das etwas, was ich tun könnte. Als könnte ich aufstehen und mich an ihren Tisch setzen und zu jemandem werden, der an ihrem Tisch sitzt. Als müsste ich nur aufstehen und ein Podium tiefer gehen und mich an ihren Tisch setzen, um jemand zu werden, der an ihrem Tisch sitzt.
    «Nein, danke», sagte ich.«Mir geht es gut allein.»
    «Ist das nicht ganz schön blöde?», sagte sie.
    «Was?»Ich konnte nicht glauben, dass sie gesagt hatte, ich wäre blöde.
    «Ist das nicht ganz schön öde? So als einsamer Wolf, meine ich», sagte sie.«Du bist wohl gern allein.»
    «Ja», sagte ich.
    «Gut, kein Problem», sagte sie.«Solange du glücklich damit bist. Aber du kannst gern zu uns kommen, wann immer du willst. Ist dieses Stück nicht so ziemlich das Bescheuertste, was man je gesehen hat?»
    «Ja», sagte ich.
    Sie saß da und sah mich einen Augenblick lang an, und ich wusste, sie bemühte sich, eine Entscheidung zu treffen, ob sie versuchen sollte, unsere Unterhaltung in die Länge zu ziehen - mich«aus der Reserve zu locken», nehme ich an -, aber offenbar kam sie zu dem Schluss, dass mir nicht zu helfen war. Sie stand auf und ging zurück an ihren Tisch mit lachenden, glücklichen, normalen Jungen und Mädchen.
    Mir wurde klar, dass ich da rausmusste. Ich stand auf und ging zwischen den Tischen durch. Das Foyer war voller fröhlich schnatternder Damen. Draußen vor der Tür standen ein paar Leute und rauchten, sogen gierig das Nikotin aus ihren Zigaretten. Eine von ihnen war die Frau des Abgeordneten, die meine Gruppe am Bahnhof abgeholt hatte. Es war erst drei Tage her, aber mir kam es vor, als wären es hundert Jahre. Es ist schon verrückt, wie langsam die Zeit vergeht, wenn man sich elend fühlt.
    «Wo wollen Sie denn hin?», rief sie mir zu, als ich an ihr vorbeikam.
    «Nur ein paar Schritte spazieren gehen», sagte ich.«Frische Luft schnappen.»
    «Gut, aber gehen Sie nicht zu weit weg», sagte sie.«Wir wollen Sie doch nicht verlieren.»
    Ich rannte bis zur Mitte des Parkplatzes und blieb einen Augenblick lang dort stehen, verdeckt von zwei bulligen Geländewagen. Mir war zumute, als wäre ich aus einem brennenden Haus entkommen; ich keuchte regelrecht und glaubte, wenn ich mich umdrehte, würde ich die lodernde Feuersbrunst der Strip Mall spüren. Also drehte ich mich nicht um, ich rannte über den Parkplatz und auf das dahinter liegende Feld. Ich ging bis zur Mitte des Feldes - es war kein richtiges Feld, vielleicht war es einmal ein Feld gewesen, aber nun war es nur noch irgendeine freie, verlassene, nutzlose, zugemüllte Fläche. Ich dachte daran, dass man den Mittelpunkt eines Platzes als jenen Ort definiert, der von jedem Punkt am Rand am weitesten entfernt liegt. Es war kein sehr großes Feld, deshalb brauchte ich nicht lange, um den (mutmaßlichen) Mittelpunkt zu erreichen. Ich

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